Stadt-land-gefälle droht
Das Recht auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder rückt näher. Aber die Liste der offenen Baustellen ist lang.
Ab 2026 greift bundesweit der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern. Das setzt viele Kommunen in Badenwürttemberg massiv unter Druck. Sie müssen künftig von Montag bis Freitag acht Stunden Bildung und Betreuung anbieten, in der Schulzeit als auch in den meisten Ferienwochen. Weder die Finanzierung ist aus Sicht von Städten, Gemeinden und Kreisen bisher ausreichend geklärt, noch die Frage, wo denn zusätzliche Betreuungskräfte herkommen sollen. Auch der Zeitplan wird landauf, landab infrage gestellt, denn in vielen Orten müssen erst noch Baumaßnahmen umgesetzt werden – für die die Fördermittel noch gar nicht verteilt sind. Und die größte Unbekannte ist, wie viele Eltern den Anspruch überhaupt geltend machen wollen.
Allerdings wird nicht überall das Klagelied angestimmt. Vor allem größere Städte haben ihr Betreuungsangebot längst deutlich ausgebaut. In Stuttgart laufen aktuell 45 von insgesamt 69 öffentlichen Grundschulen im Ganztagsbetrieb, 12 weitere Schulen sollen absehbar hinzukommen. „Die Stadt Stuttgart ist durch den frühzeitigen Ausbau qualitativ hochwertiger Ganztagsgrundschulen bereits heute sehr gut auf die Umsetzung des Rechtsanspruchs vorbereitet“, teilte die Stadtverwaltung auf Anfrage mit. Angebote von kommunalen und freien Trägern ergänzen den Schulbetrieb. In Tübingen ist der flächendeckende Ganztagsausbau sogar nahezu abgeschlossen, der Rechtsanspruch damit schon jetzt prinzipiell erfüllt. 19 der 21 Standorte sind laut Stadtverwaltung bereits Ganztagsgrundschulen, zumeist wurden seit vergangenem mit drei Tagen Vollbetrieb Jahr 63 zusätzliche Fachkräfte und ergänzender Nachmittagsbeeingestellt, meldet die Stadt. treuung an den anderen beiden Die Gemeinden sind längst Tagen. nicht so gut aufgestellt. Zwar kön
In Mannheim sieht es nicht nen sie nach Angaben des Gemeindetags ganz so rosig aus: „Die Herausinzwischen flächendeckend forderung ist enorm und der Zeitplan Betreuungsangebote tatsächlich eng“, sagt Denn- dvorweisen, die den Unterricht ernis Baranski, Ausbaukoordinator gänzen. Von acht Stunden sind Ganztagsschule der Stadt. Ihm viele aber weit entfernt, oft reichen zufolge liegt die Betreuungsquote die Angebote je nach Standort rechnerisch heute zwar schon nur bis 13 oder 14 Uhr. „Der bei 70 Prozent – Ganztagsschulen, größte Ausbaubedarf wird bei der Horte, flexible Nachmittagsbetreuung Schaffung von Angeboten in den und die verlässliche Ferien erwartet“, erklärt der Gemeindetag. Grundschule eingerechnet. Schätzungen zufolge müssten künftig aber 85 Prozent erfüllt werden. In
Freiburg hat der Gemeinderat gerade erst die Umwandlung zweier Grundschulen zu gebundenen
Ganztagsschulen beschlossen, wo die Teilnahme am Ganztagsbetrieb Pflicht ist. Für die Betreuung
Freie Träger einbinden
Generell will der Spitzenverband möglichst viele außerschulische Partner wie Musikschulen, Vereine oder Kunstschulen gewinnen, um die Aufgabe zu erfüllen.
Der Ganztag basiert in Badenwürttemberg nicht nur auf dem entsprechenden Ausbau von Schulen. Als zweite Säule sind flexible Betreuungsangebote vor und nach dem Unterricht fester Bestandteil. Der Rechtsanspruch richtet sich deshalb gesetzlich gegen die Kreise, die Träger der freien Jugendhilfe sind. Die Kommunen können ihn also auch erfüllen, indem sie zum Beispiel Wohlfahrtverbände und Vereine einbinden.
Gespräche dazu gab es bereits, eine „verlässliche Kooperation“wird angestrebt. Der Landkreistag will dazu im kommenden Schuljahr Pilotprojekte starten. „Dass wir dafür keine Fachkräfte brauchen, ist eine große Errungenschaft“, betont Norbert Brugger, Bildungsdezernent des Landkreistags. Dennoch müssten die eingesetzten Betreuer geschult werden, was das Land mit 7,5 Millionen Euro fördern soll.
Das Bundesgesetz sieht einen stufenweisen Aufbau des Rechtsanspruchs vor, beginnend ab Klassenstufe 1 im Schuljahr 2026/27. Bis zum Schuljahr 2029/30 soll er dann für alle vier Klassenstufen gelten. Harte Kritik aus allen Kommunalverbänden ist vor allem an der Finanzierung des Gesamtvorhabens durch Bund und Land zu hören. Laut Gemeindetag werden notwendige Investitionen, etwa für Cafeterien oder Außenanlagen, vom Bund nur zu etwa zehn Prozent gefördert.
Die bisher eingegangenen Anträge aus den Kommunen sollen den aktuellen Fördertopf von knapp 390 Millionen Euro dem Vernehmen nach bereits um das Dreifache übersteigen. Zusätzliche Bundesmittel für den laufenden Betrieb belaufen sich im Endausbau für Baden-württemberg auf rund 170 Millionen Euro jährlich. Die tatsächlichen Betriebskosten werden weit darüber liegen.
Die Erfüllung des Ganztagsanspruchs sei eine „gemeinsame Aufgabe“, zu der alle Partner ihren Teil beitragen sollen, teilte das Kultusministerium mit. „Mit den Kommunen sind wir dazu in guten und produktiven Gesprächen, um die Umsetzung des Rechtsanspruchs gut vorzubereiten.“Verwiesen wurde auf vier Regionalkonferenzen, die bereits stattfanden, und den „Runden Tisch Ganztag“zur Zusammenarbeit von Schule, Kommune, Jugendhilfe und außerschulischen Partnern. Zudem wurden laut Ministerium drei Arbeitsgruppen gebildet.