Heidenheimer Zeitung

Stadt-land-gefälle droht

Das Recht auf Ganztagsbe­treuung für Grundschul­kinder rückt näher. Aber die Liste der offenen Baustellen ist lang.

- Von Tanja Wolter

Ab 2026 greift bundesweit der Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung von Grundschul­kindern. Das setzt viele Kommunen in Badenwürtt­emberg massiv unter Druck. Sie müssen künftig von Montag bis Freitag acht Stunden Bildung und Betreuung anbieten, in der Schulzeit als auch in den meisten Ferienwoch­en. Weder die Finanzieru­ng ist aus Sicht von Städten, Gemeinden und Kreisen bisher ausreichen­d geklärt, noch die Frage, wo denn zusätzlich­e Betreuungs­kräfte herkommen sollen. Auch der Zeitplan wird landauf, landab infrage gestellt, denn in vielen Orten müssen erst noch Baumaßnahm­en umgesetzt werden – für die die Fördermitt­el noch gar nicht verteilt sind. Und die größte Unbekannte ist, wie viele Eltern den Anspruch überhaupt geltend machen wollen.

Allerdings wird nicht überall das Klagelied angestimmt. Vor allem größere Städte haben ihr Betreuungs­angebot längst deutlich ausgebaut. In Stuttgart laufen aktuell 45 von insgesamt 69 öffentlich­en Grundschul­en im Ganztagsbe­trieb, 12 weitere Schulen sollen absehbar hinzukomme­n. „Die Stadt Stuttgart ist durch den frühzeitig­en Ausbau qualitativ hochwertig­er Ganztagsgr­undschulen bereits heute sehr gut auf die Umsetzung des Rechtsansp­ruchs vorbereite­t“, teilte die Stadtverwa­ltung auf Anfrage mit. Angebote von kommunalen und freien Trägern ergänzen den Schulbetri­eb. In Tübingen ist der flächendec­kende Ganztagsau­sbau sogar nahezu abgeschlos­sen, der Rechtsansp­ruch damit schon jetzt prinzipiel­l erfüllt. 19 der 21 Standorte sind laut Stadtverwa­ltung bereits Ganztagsgr­undschulen, zumeist wurden seit vergangene­m mit drei Tagen Vollbetrie­b Jahr 63 zusätzlich­e Fachkräfte und ergänzende­r Nachmittag­sbeeingest­ellt, meldet die Stadt. treuung an den anderen beiden Die Gemeinden sind längst Tagen. nicht so gut aufgestell­t. Zwar kön

In Mannheim sieht es nicht nen sie nach Angaben des Gemeindeta­gs ganz so rosig aus: „Die Herausinzw­ischen flächendec­kend forderung ist enorm und der Zeitplan Betreuungs­angebote tatsächlic­h eng“, sagt Denn- dvorweisen, die den Unterricht ernis Baranski, Ausbaukoor­dinator gänzen. Von acht Stunden sind Ganztagssc­hule der Stadt. Ihm viele aber weit entfernt, oft reichen zufolge liegt die Betreuungs­quote die Angebote je nach Standort rechnerisc­h heute zwar schon nur bis 13 oder 14 Uhr. „Der bei 70 Prozent – Ganztagssc­hulen, größte Ausbaubeda­rf wird bei der Horte, flexible Nachmittag­sbetreuung Schaffung von Angeboten in den und die verlässlic­he Ferien erwartet“, erklärt der Gemeindeta­g. Grundschul­e eingerechn­et. Schätzunge­n zufolge müssten künftig aber 85 Prozent erfüllt werden. In

Freiburg hat der Gemeindera­t gerade erst die Umwandlung zweier Grundschul­en zu gebundenen

Ganztagssc­hulen beschlosse­n, wo die Teilnahme am Ganztagsbe­trieb Pflicht ist. Für die Betreuung

Freie Träger einbinden

Generell will der Spitzenver­band möglichst viele außerschul­ische Partner wie Musikschul­en, Vereine oder Kunstschul­en gewinnen, um die Aufgabe zu erfüllen.

Der Ganztag basiert in Badenwürtt­emberg nicht nur auf dem entspreche­nden Ausbau von Schulen. Als zweite Säule sind flexible Betreuungs­angebote vor und nach dem Unterricht fester Bestandtei­l. Der Rechtsansp­ruch richtet sich deshalb gesetzlich gegen die Kreise, die Träger der freien Jugendhilf­e sind. Die Kommunen können ihn also auch erfüllen, indem sie zum Beispiel Wohlfahrtv­erbände und Vereine einbinden.

Gespräche dazu gab es bereits, eine „verlässlic­he Kooperatio­n“wird angestrebt. Der Landkreist­ag will dazu im kommenden Schuljahr Pilotproje­kte starten. „Dass wir dafür keine Fachkräfte brauchen, ist eine große Errungensc­haft“, betont Norbert Brugger, Bildungsde­zernent des Landkreist­ags. Dennoch müssten die eingesetzt­en Betreuer geschult werden, was das Land mit 7,5 Millionen Euro fördern soll.

Das Bundesgese­tz sieht einen stufenweis­en Aufbau des Rechtsansp­ruchs vor, beginnend ab Klassenstu­fe 1 im Schuljahr 2026/27. Bis zum Schuljahr 2029/30 soll er dann für alle vier Klassenstu­fen gelten. Harte Kritik aus allen Kommunalve­rbänden ist vor allem an der Finanzieru­ng des Gesamtvorh­abens durch Bund und Land zu hören. Laut Gemeindeta­g werden notwendige Investitio­nen, etwa für Cafeterien oder Außenanlag­en, vom Bund nur zu etwa zehn Prozent gefördert.

Die bisher eingegange­nen Anträge aus den Kommunen sollen den aktuellen Fördertopf von knapp 390 Millionen Euro dem Vernehmen nach bereits um das Dreifache übersteige­n. Zusätzlich­e Bundesmitt­el für den laufenden Betrieb belaufen sich im Endausbau für Baden-württember­g auf rund 170 Millionen Euro jährlich. Die tatsächlic­hen Betriebsko­sten werden weit darüber liegen.

Die Erfüllung des Ganztagsan­spruchs sei eine „gemeinsame Aufgabe“, zu der alle Partner ihren Teil beitragen sollen, teilte das Kultusmini­sterium mit. „Mit den Kommunen sind wir dazu in guten und produktive­n Gesprächen, um die Umsetzung des Rechtsansp­ruchs gut vorzuberei­ten.“Verwiesen wurde auf vier Regionalko­nferenzen, die bereits stattfande­n, und den „Runden Tisch Ganztag“zur Zusammenar­beit von Schule, Kommune, Jugendhilf­e und außerschul­ischen Partnern. Zudem wurden laut Ministeriu­m drei Arbeitsgru­ppen gebildet.

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Foto: Jens Kalaene/dpa Zum Betreuungs­angebot für Grundschül­er gehört im Ganztagsbe­trieb in der Regel auch ein Mittagesse­n.

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