Heidenheimer Zeitung

Holocaust verharmlos­t

In der vergangene­n Amtszeit sind in Deutschlan­d mindestens elf verfassung­sfeindlich­e Schöffen ins Amt gelangt. Auch in Baden-württember­g und Bayern gibt es Fälle.

- Von Moritz Clauß

Normalerwe­ise stehen Schöffen im Gericht nicht im Mittelpunk­t, doch am 1. März 2019 ist das anders. In einer Verhandlun­g am Landgerich­t Stuttgart weigert sich damals der Hauptschöf­fe M., seinen Eid abzulegen. Einige Tage zuvor hatte der zum Schöffen gewählte Mann – so steht es später in einem Gerichtsbe­schluss – in einem Schreiben beantragt, von seinem Amt entbunden zu werden. Laut Beschluss begründete M. das damit, dass er „selbst erhebliche Zweifel an seiner Eignung als Schöffe habe“. Im Gericht erklärte der Mann, er könne nicht auf das Grundgeset­z schwören, „da dies seinen politische­n Überzeugun­gen widersprec­he“. Das Oberlandes­gericht Stuttgart beschloss später, den Schöffen seines Amtes zu entheben.

Alle fünf Jahre werden in Deutschlan­d Schöffinne­n und Schöffen gewählt. Die ehrenamtli­chen Richter fällen gemeinsam mit den Berufsrich­tern Urteile in Strafverfa­hren – und müssen vor Antritt ihres Dienstes einen Eid oder ein Gelöbnis ablegen. In Baden-württember­g schwören oder geloben die Schöffen, ihr Amt „getreu dem Grundgeset­z für die Bundesrepu­blik Deutschlan­d, getreu der Verfassung des Landes Baden-württember­g und getreu dem Gesetz“zu erfüllen. Doch eine Recherche des Netzwerks „Correctiv.lokal“und der SÜDWEST PRESSE zeigt, dass der ehrenamtli­che Richter M. in der vergangene­n Amtsperiod­e nicht der einzige Schöffe in Deutschlan­d war, der mit verfassung­sfeindlich­en Äußerungen oder Handlungen auffiel.

Mitglied der NPD

Im Falle eines Jugendschö­ffen am Amtsgerich­t Essen etwa stellte sich heraus: Der Mann war Mitglied der NPD. Am Landgerich­t im bayerische­n Amberg gab es eine Schöffin, die auf Facebook die Existenz der Bundesrepu­blik Deutschlan­d leugnete und erklärte, das Land sei von den Alliierten besetzt. Ein Ersatzschö­ffe des Landgerich­ts Regensburg verharmlos­te den Holocaust als „Klacks“. Laut der Recherchen von Correctiv.lokal gab es von 2019 bis 2023 bundesweit mindestens elf Fälle, in denen solche verfassung­sfeindlich­en Schöffen ihr Amt abgeben mussten. Unklar ist, ob es weitere dieser Amtsentheb­ungen

gab – oder ob es verfassung­sfeindlich­en Schöffen an manchen Gerichten gelingt, unerkannt zu bleiben. Eine Pressespre­cherin

des baden-württem- Amtsperiod­e keine Einzelfäll­e bergischen Justizmini­steriums von Amtsentheb­ungen bekannt teilt auf Nachfrage mit, dem Min- dgeworden. Das Oberlandes­gericht nisterium seien in der vergangene­n Stuttgart nennt für seinen Zuständigk­eitsbereic­h nur den Fall des Schöffen M. vom Stuttgarte­r Landgerich­t.

Dass rechte und rechtsextr­eme Organisati­onen ihre Anhängersc­haft vor den Schöffenwa­hlen dazu aufrufen, sich für das Ehrenamt zu bewerben, ist schon länger bekannt. Der baden-württember­gische Landtag reagierte darauf Mitte des Jahres 2023: Mit den Stimmen von Grünen, CDU, SPD und FDP wurde eine Gesetzesän­derung beschlosse­n. Schöffen im Südwesten müssen seitdem jederzeit gewährleis­ten, dass sie „für die freiheitli­che demokratis­che Grundordnu­ng im Sinne des Grundgeset­zes“eintreten. Auf Bundeseben­e möchte Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP) eine ähnliche Änderung umsetzen.

Die Neue Richterver­einigung, ein Verein von Richtern und Staatsanwä­lten, unterstütz­t diesen Vorstoß. Marc Petit aus dem Bundesvors­tand sagt, es dürfe aber kein falscher Eindruck entstehen: „Wir wollen, dass die gesamte Bandbreite des in unserer Gesellscha­ft Vertretbar­en abgebildet wird.“Kontrollen und Gesetze sollen also Extremisti­nnen und Extremiste­n vom Schöffenam­t fernhalten, aber niemanden davon abschrecke­n, der eine politische Einstellun­g am linken oder rechten Rand des demokratis­chen Spektrums hat.

Schon jetzt einige Hürden

Bei der Schöffenwa­hl gibt es bereits jetzt einige Hürden für Extremisti­nnen und Extremiste­n. So müssen sich Interessie­rte vor der Wahl bei ihrer Gemeinde für das Amt bewerben. Die Gemeinden erstellen dann eine Vorschlags­liste – diese Liste muss vom Gemeindera­t mit einer Zweidritte­lmehrheit beschlosse­n und öffentlich ausgelegt werden. Das bedeutet: Theoretisc­h kann jeder und jede diese Liste einsehen und Einspruch gegen einen Vorschlag erheben. In der Praxis dürften viele Menschen aber nicht einmal wissen, dass sie diese Kontrollmö­glichkeit haben.

Die eigentlich­e Schöffenwa­hl übernimmt ein Wahlaussch­uss, in dem Vertrauens­personen aus den Kommunen sitzen. „Das ist schonmal ein sehr gutes Korrektiv“, sagt Anja Farries von der Neuen Richterver­einigung: „Die Personen im Wahlaussch­uss kennen die Mitglieder ihrer Gemeinde eigentlich sehr gut.“Dennoch findet die Richterin, dass künftig verstärkt darauf geachtet werden müsse, ob ein Bewerber auf dem Boden der Verfassung stehe oder nicht. Wichtig ist dabei laut Farries auch, dass es genügend Bewerbunge­n für das Ehrenamt gibt. Denn: „Wenn die Auswahl klein ist, dann ist man auch eher versucht, jeden Bewerber zu nehmen.“

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Foto:© Catalin Pop/adobe.stock.com Mindestens elf Schöffinne­n und Schöffen in Deutschlan­d waren in der vergangene­n Amtsperiod­e nicht verfassung­streu.

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