Lieber Appell,
wer mal gedient hat, weiß aus eigener Erfahrung, dass ohne Dich kein Tag anfängt. Antreten, zuhören, wegtreten – Dein Ablauf ist bis ins Kleinste geregelt und beruht seit jeher auf Befehl und Gehorsam.
Weniger streng begegnetest Du uns bereits in lange zurückliegenden Kindertagen. Wenn wir in ein wahnsinnig spannendes Buch vertieft waren, schaute abends garantiert die Mutter nochmal in unser Zimmer herein und riet nachdrücklich, mit Blick auf die Klassenarbeit am nächsten Morgen täte eine Mütze Schlaf bestimmt gut. Wir gaben ihr natürlich recht, machten das Licht aus – und lasen unter der Bettdecke im Schein einer Taschenlampe weiter.
Und als der Vater uns einbläute, aus Rücksicht auf unsere Gesundheit lieber aufs Rauchen zu verzichten, nickten wir verständnisvoll – und zündeten uns gemeinsam mit unseren Kumpels auf dem Bolzplatz erstmal eine an.
Alles lässliche Sünden, die zum Größerwerden gehören. Ist man dann erstmal groß, wartet schon der nächste Appell: Geh wählen! Viele schalten auch in diesem Punkt auf Durchzug und schenken dem wichtigen demokratischen Recht bedauerlicherweise nur selten Beachtung.
Umso erfreulicher, dass Du, lieber Appell, bei den Gemeinderatswahlen am vergangenen Sonntag auf fruchtbaren Boden fielst: 71 Prozent der Wahlberechtigten gaben zum Beispiel in Dischingen ihre Stimmen ab. Kaum weniger waren es in Hermaringen (69 Prozent) und in Sontheim an der Brenz (67 Prozent).
Wie schön wäre es, fänden sich unter den Entscheidungsträgern des Europäischen Fußballverbands ebenso viele verantwortungsbewusste Menschen. Dann müsste man nämlich nicht den Kopf schütteln angesichts der Pläne, die die UEFA für die Eröffnungsfeier der Fußball-em am Freitag hat: In der Münchner Allianz-arena soll in der Hand gehaltene Pyrotechnik für ein majestätisches Bild sorgen. Werden im profanen Ligaalltag dafür nicht Strafen verhängt? Nur zur Erinnerung: Es gab mal Sportveranstaltungen, bei denen der Sport im Mittelpunkt stand. In unserer noch von Herberger’schen Idealen geprägten Fantasie könntest Du, lieber Appell, auf den letzten Drücker vielleicht noch etwas an diesen Visionen feuerwerksverliebter Fußball-funktionäre ändern. Aber leider liest Du das hier ja nicht.