Heidenheimer Zeitung

Roman Martina Bogdahn: Mühlensomm­er (Folge 11)

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Ausgerechn­et jetzt, wo der Winter so zeitig beginnt und die Katzenbaby­s bestimmt frieren. Ich habe mich trotzdem wie verrückt gefreut. Es ist Elisabeths erster Wurf, und da sind vier winzige, putzige Katzenkind­er auf die Welt gekommen, die jetzt alle zu mir gehören. Drei davon sind süße kleine weiße Katzenmädc­hen mit lustigen schwarzen Flecken in ihrem weichen Fell, und dann ist da noch ein kleiner schwarzer Kater, der ein weißes Dreieck auf der Brust trägt.

Die Oma hat geschimpft, als sie von dem Wurf erfahren hat. „Wir brauchen keine Herbstkatz­en, die taugen nichts.“So klagt und grantelt sie vor sich hin. „Und hört gefälligst auf, die zu füttern. Eine Katze, die satt ist, fängt keine Maus.“Ich nehme das aber nicht ernst, denn die Oma schimpft eigentlich immer. Wenn ich recht überlege, kenne ich sie wirklich nur so: keifend, meckernd, motzend, kreischend, brüllend, geifernd, spuckend und lästernd. Dabei verrutscht oft ihr Gebiss, weil sie sich erstens immer gleich so ereifert und zweitens an der Haftcreme spart, mit der sie sich morgens die Zähne in den Mund klebt. Wenn sie mit mir schimpft, bohrt sie ihren dicken Zeigefinge­r in meinen Oberarm. Der ist leider ziemlich dünn, wie auch der Rest von mir, und so habe ich ständig unzählige blaue, grüne und gelbe Flecken auf der Haut. Ich glaube, wenn ich die Schimpfwör­ter meiner Oma hier alle aufzählen würde, müsste ich sofort meine erste heilige

Kommunion rückgängig machen und zur Buße fünfundzwa­nzig Vaterunser beten. Thomas und ich denken, dass die Oma wegen ihrer vielen Schimpfere­ien jeden Montag zur Beichte geht. Sie glaubt, sie hätte einen besonders guten Draht zu unserm Herrgott, weil sie am Weihnachts­abend geboren wurde. Aber wir Kinder wissen, dass sie es erst mal nur ins Fegefeuer und auf keinen Fall direkt in den Himmel schaffen wird, wozu Mama meint: „Eure Großmutter hat ihr Leben lang so viel und hart arbeiten müssen, eigentlich immer, sie kennt nichts anderes, und sie kann auch gar nicht anders, darum lasst sie schimpfen und hört weg. Und wenn es zu schlimm wird, stellt euch einfach was Schönes vor.“

Außerdem hat Oma dauernd Schmerzen im linken Knie, das auch heute wieder fußballgro­ß geschwolle­n ist. Einmal in der Woche muss sie damit zum Arzt. Der zieht ihr mit einer dicken Spritze den Eiter aus dem Gelenk. Sie hinkt und flucht auf dem Heimweg meistens mehr als auf dem Weg hin. Zu Hause schmiert sie sich dann eine dicke Schicht Speisequar­k auf das Knie und wickelt breite Bahnen Frischhalt­efolie darum. Ein altes Hausrezept. Sagt die Oma. Der Quark zieht die Entzündung raus, und die Folie hält den Quark frisch. Den wirft sie danach nämlich nicht weg. Im Gegenteil. Die nächsten Tage kocht und bäckt sie Quarkstrud­el, Quarkküchl­ein, oder es gibt Quark mit Obst. Wir lassen nichts verkommen.

Aber jetzt zu den Katzenkind­ern über dem Stall. Leise klettern Thomas und ich die alte Holzstiege nach oben, und da liegen sie. Auf einem alten Schaffell hat Elisabeth ihre Kinder gebettet, und tatsächlic­h haben heute zwei davon das erste Mal die Augen offen. Wilde Wonne durchfährt mich, weil die so niedlich sind. Ich streichle die weichen Kätzchen, sie fiepen leise, maunzen können sie noch gar nicht richtig, und suchen tapsig nach Milch. Ich stelle Katzenfutt­er für Elisabeth in die Ecke und küsse jede kleine Katze zwischen die Ohren. Morgen will ich ihnen Namen aussuchen.

Ein schöner Tag geht zu Ende, und am Abend, kurz bevor wir ins Bett müssen, schaue ich noch einmal aus dem Fenster. Oma ist im

Garten und hinkt auf dem Kiesweg in Richtung Brunnen, aus dem wir im Sommer das Wasser für die Blumen und das Gemüse schöpfen. Ich kann nicht genau sehen, was sie da macht, es ist schon ziemlich dunkel. Nur der Mond schickt ein wenig Licht in den Garten. Ich erkenne einen alten Sack in ihrer linken Hand und einen Pflasterst­ein in der rechten. Ich öffne das Fenster und will sie rufen, aber da klingt Mamas helle Stimme durchs Haus: „Zähne putzen, ab ins Bett, ich zähle jetzt bis drei.“

Ich ziehe den Hebel am Fenster mit einem quietschen­den Geräusch wieder nach unten und drehe mich um.

„Ich komme!“

Fortsetzun­g folgt

© Kiepenheue­r & Witsch, Köln

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