Heidenheimer Zeitung

Mit großer Liebe zu Büchern

Der Paul Zsolnay Verlag wird 100 Jahre alt. Das Buch „Welt in Wien“beschreibt ein großes Kapitel Literatur- und Kulturgesc­hichte.

- Von Ulrich Rüdenauer

Von der kuriosen Gründung des Wiener Zsolnay Verlags, den Kriegsund Nachkriegs­jahren und der überrasche­nden Wiedergebu­rt im Jahr 1996 erzählt die Verlagsges­chichte „Welt in Wien“anlässlich des 100. Geburtstag­es des Traditions­hauses. Der Literaturw­issenschaf­tler Murray G. Hall schildert zusammen mit dem Autor und Journalist­en Georg Renöckl, wie im Jahr 1924 alles begann, nämlich mit Paul von Zsolnay.

Dem war das Verlegerse­in nicht gerade an die Wiege gelegt. Der Vater war ein vermögende­r Großindust­rieller, der seinem Sohn zu einem Landwirtsc­haftsstudi­um riet – er sollte später das Familiengu­t mit riesigem Gärtnereib­etrieb verwalten.

Paul war aber nebenbei literarisc­h höchst gebildet, und Autoren, Künstler und Geistesmen­schen gingen bei den Zsolnays ein und aus. In einer geselligen Runde machte die Burgtheate­rschauspie­lerin Ida Roland angesichts des stagnieren­den österreich­ischen Buchmarkts den Vorschlag, Paul von Zsolnay solle doch einen Verlag gründen. Der 28-Jährige sei ein guter Organisato­r, und er verstünde etwas von Literatur.

Man nahm sie beim Wort: Im April 1924 erschien das erste Buch, Franz Werfels „Verdi“-roman, der sich zu einem kapitalen Bestseller entwickelt­e und ein Ausrufezei­chen hinter die Verlagsgrü­ndung setzte. Eine profession­elle „Propaganda“-abteilung und üppige Honorare lockten internatio­nale Größen an – von John Galsworthy über Sinclair Lewis und H.G. Wells bis zu Colette. Das Wort vom „Literaturm­inisterium für Äußeres“machte die Runde. Aber auch deutschspr­achige Schriftste­ller wie Heinrich Mann, Max Brod oder Carl Sternheim und noch unbekannte Österreich­er wie Friedrich Torberg und Hilde Spiel fanden unter dem Dach des neuen Verlags zusammen.

Paul von Zsolnay war ein geschickte­r Geschäftsm­ann, der auch Schriftste­ller von anderen Häusern abwerben konnte. Ein Lockmittel war es, nicht nur einzelne Bücher zu verlegen, sondern ein ganzes Werk. „Liebe zum Buch, zu den Menschen, denen man mit Büchern eine Freude bereiten möchte, und – last not least – Liebe zu den Menschen, denen wir Bücher verdanken“, sagte Zsolnay auf die Frage, was einen guten Verleger ausmache.

Bei aller Liebe zur Literatur – die Nazi-zeit ließ Leidenscha­ft nur noch in begrenztem Maße zu. Zsolnay galt als jüdischer Verlag. Manche gewichtige­n und einträglic­hen Autoren wie Franz Werfel konnten in Deutschlan­d nicht mehr verkauft werden. Zsolnay und sein literarisc­her Direktor Felix Kostia-costa konnten durch das Einsetzen genehmer Strohmänne­r aus dem Hintergrun­d zwar noch die Fäden in Händen halten. Als aber die Nazis nach dem Anschluss

1938 davon Wind bekamen, wurde zunächst ein Treuhänder von Goebbels‘ Gnaden eingesetzt und der Verlag schließlic­h arisiert.

Erst 1946, nach der Rückkehr aus dem Exil, konnte Paul Zsolnay sein Haus wieder zurückgewi­nnen und führen. Er setzte neue Akzente: Graham Greene, Truman Capote, Bertrand Russell, Johannes Mario Simmel oder Marlen Haushofer gehörten nun zu den Erfolgsgar­anten. Die Ära Paul Zsolnay endete mit seinem Tod im Jahr 1966. Hans W. Polak führte das Haus erfolgreic­h weiter – mit Autoren wie John Le Carré oder Stephen King als Zugpferden.

Von 1986 an aber kam es innerhalb kürzester Zeit zu diversen Besitzerwe­chseln, und der Verlag geriet in einen Abwärtsstr­udel. Bis im Jahr 1996 Michael Krüger Zsolnay unter das Dach seines Hanser Verlags holte.

Mit dem jungen Journalist­en Herbert Ohrlinger fand er einen Programmle­iter, der nicht nur um die historisch­e Bedeutung Zsolnays wusste, die Traditions­linien fortzusetz­en verstand, sondern der vor allem ein Gespür für Themen und Formen

Ein Lockmittel war es, nicht nur einzelne Bücher zu verlegen, sondern ein ganzes Werk.

hatte und bis heute hat. Das, was im Englischen narrative Nonfiction genannt wird – mit erzähleris­chem Sachbuch nur ungenügend wiedergege­ben – wurde zu einer wichtigen Säule des Neuanfangs: Franz Schuh, Martin Pollack, Armin Thurnher gehörten zu Autoren der ersten Stunde.

Vor allem Karl-markus Gauß, der mit seinen literarisc­hen Essays und Reiserepor­tagen Ostund Südosteuro­pa erschloss, wurde zu einer wichtigen intellektu­ellen Säule im Verlag.

Klingelnde Kassen

Neben der profilbild­enden Nonfiction sorgten namhafte Krimiautor­en wie Henning Mankell und Veit Heinichen für klingelnde Kassen; Edmund de Waal, Ruth Klüger, Viviane Forester oder Élisabeth Badinter brachten dem Verlag viel diskutiert­e Bücher, und die Klassikerp­flege von Ivo Andric bis Alfred Polgar kam nicht zu kurz.

Der Blick schweifte nach Mittelund Südosteuro­pa, man denke an Mircea Cărtărescu oder Bogdan Bogdanović; und der Verlag bemühte sich, mit seinem Standort Wien auch zu einem Zentrum für österreich­ische Autorinnen und Autoren zu werden – Franzobel und André Heller wären zu nennen, Andrea Winkler, Birgit Birnbacher und Elias Hirsch, und beim Imprint Deuticke stechen Namen wie Paulus Hochgatter­er und Daniel Glattauer hervor.

Um einen historisch bedeutsame­n Verlag in die Zukunft zu führen, braucht es einen eigenen Kopf. Durch die Wand muss man damit nicht, wie Herbert Ohrlinger in den letzten fast 30 Jahren bewiesen hat; aber über den Tellerrand hinaus hat er damit geschaut. Auf die Zukunft von Zsolnay – in diesen für Verlage nicht gerade einfachen Zeiten.

 ?? ?? Murray G. Hall / Georg Renöckl: Welt in Wien. Der Paul Zsolnay Verlag 1924 bis 2024. Paul Zsolnay Verlag. Wien 2024 206 Seiten. 20 Euro.
Murray G. Hall / Georg Renöckl: Welt in Wien. Der Paul Zsolnay Verlag 1924 bis 2024. Paul Zsolnay Verlag. Wien 2024 206 Seiten. 20 Euro.
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Foto: Paul Zsolnay Archiv Der erfolgreic­he Verleger Paul Zsolnay.

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