Aesculap besteht seit 150 Jahren
Ein geschichtlicher Abriss der ersten 50 Jahre von Tuttlingens größtem Arbeitgeber
- Mehr als 1,6 Milliarden Euro Umsatz, weltweit rund 11 600 Mitarbeiter, davon allein 3500 in Tuttlingen. Im Jahr 1867, also vor 150 Jahren, begann in einer kleinen Werkstatt in Tuttlingen eine klassische schwäbische Erfolgsgeschichte. In den vergangenen 15 Dekaden wurde aus der „Gottfried Jetter Fabrik chirurgischer Instrumente“die weltweit operierende Aesculap AG als Teil der B. Braun Melsungen AG.
Die Wiege von Aesculap liegt in der Wilhelmstraße/Ecke Zeughausstraße. Dort unterhielt Gottfried Jetter, 1938 in Tuttlingen geboren, ab dem Jahr 1867 eine kleine Chirurgiemechaniker-Werkstatt. Auf seiner vorherigen Wanderschaft hatte er die Zentren der damaligen Medizintechnik besucht: Marburg, Wien, Berlin, Straßburg, Genf und Paris.
Zu jener Zeit galt Tuttlingen noch als Messerschmiedestadt, doch die Konjunktur für die Produkte war nicht gut, die Konkurrenz hart, die Löhne niedrig. Das machte sich Jetter zunutze, indem er gut ausgebildete Handwerker anstellte und in großer Serie produzierte. Die Folge: Die Werkstatt wurde schnell zu klein. Die Mitarbeiterzahl war nach drei Monaten von zwei auf sechs angestiegen. Wenig später kam der deutsch-französische Krieg 1870/71 und die Gründung des Roten Kreuzes, die die Nachfrage nach chirurgischen Instrumenten ansteigen ließen. Im Jahr 1874 brachte Jetter bereits eine Preisliste mit 172 Artikeln heraus. 1877 übernahm Jetters Schwager, Karl Christian Scherer, die kaufmännische Leitung der Firma. Auch der zweite Schwager, Wilhelm Scherer, war im Unternehmen eingebunden.
Ausbau und Erweiterung
Die Geschäfte liefen so gut, dass Jetter in der Innenstadt ein zweistöckiges Fabrikationsgebäude errichten ließ. 120 Mitarbeiter hatte er zu diesem Zeitpunkt beschäftigt, eine Dampfmaschine mit sechs PS lieferte die Energie. Und die Mitarbeiterzahl stieg in den folgenden Jahren weiter ständig an: 1890 waren es 440 Arbeiter, nur drei Jahre später schon 600. Hierdurch musste die Betriebsstätte immer wieder ausgebaut und erweitert werden.
Bereits im Jahr 1887 wurden Wilhelm und Karl Christian Scherer zu gleichberechtigten Teilhabern des Unternehmens. Folglich wurde es auch in „Jetter & Scherer“umbenannt. Schnell zeigte sich, dass der weltgewandte Karl Christian Scherer, der eine vierjährige Ausbildung im Tuttlinger Manufakturgeschäft Christian Ludwig Kauffmann abgeschlossen hatte, der kommende starke Mann in der Firma werden sollte. 1893 reiste er in die USA, aber auch nach Russland und ins Baltikum. Von 1895 bis 1923 war er „alleiniger Gesellschaftsvorstand“des Unternehmens. Sein Bruder Wilhelm trat im Jahr 1904 aus der Leitung zurück und wechselte in den Aufsichtsrat.
1889 wurde die erste Filiale in Berlin eröffnet, weitere folgten in New York (1893) und London (1895). Der Schlangenstab mit der Krone wurde in jener Zeit zum Warenzeichen. Er und der neue Markenname Aesculap, der 1899 eingeführt wurde, wurden zu Symbolen für die Produkte der Firma. 1895 betrug das Grundkapital schon 1,6 Millionen Mark. Der Reingewinn bezifferte sich auf 300 000 Mark. Damit stieg das Unternehmen, das sich nun „Aktiengesellschaft für Feinmechanik vormals Jetter & Scherer“nannte, in die oberste Liga der württembergischen Industrie auf – und wurde zu einem weltweit führenden Hersteller chirurgischer Instrumente.
In diesen Jahren erfolgte auch der Umzug an den Tuttlinger Bahnhof. In den Jahren 1898/99 entwarf und baute der Architekt Philip Jacob Manz das bis heute genutzte Werksareal. Der Kostenpunkt: 1,4 Millionen Mark – eine Summe, die angesichts der guten wirtschaftlichen Entwicklung der AG verkraftbar war.
Auch der persönliche Erfolg für Karl Christian Scherer blieb nicht aus. So wurde er zum königlichwürttembergischen Kommerzienrat und zum Ehrendoktor der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen ernannt. Seine Heimatstadt Tuttlingen verlieh ihm die Ehrenbürgerrechte.
Umsatz steigt auf 5,3 Millione
1902 hatte die Aktiengesellschaft, wie sie bis heute bei alteingesessenen Tuttlingern noch heißt, 1200 Arbeiter, 45 technische und 50 kaufmännische Angestellte. Schon wenige Jahre nach dem Umzug auf das neue Betriebsgelände folgte 1907 und 1908 die Errichtung von Bau 2. Der Umsatz stieg bis 1914 auf 5,3 Millionen Mark bei 1751 Mitarbeitern.
Im Zuge des Ersten Weltkriegs (1914 bis 1918) wurde die Produktion teilweise auf Kriegsmaterial umgestellt, durch Einberufungen ging die Mitarbeiterzahl auf rund tausend zurück. Dennoch ging die Bautätigkeit weiter, indem die Bauten 10, 11, 15, 16 und 17 errichtet wurden. Zum 50-jährigen Bestehen im Jahr 1917 nennt sich die AG „Größte Waffenfabrik des Friedens im Weltkrieg“– trotzdem wird das amerikanische Tochterunternehmen Kny-Scherer vom Kriegsgegner beschlagnahmt.