Heuberger Bote

Angeklagte­r verweigert Teilnahme

Dramatisch­e Szenen im Prozess um den versuchten Mord am Tuttlinger Busbahnhof

- Von Lothar Häring

- Im Prozess um die brutale Prügelatta­cke beim Tuttlinger Busbahnhof und den Vorwurf des versuchten Mordes ist es am 15. Verhandlun­gstag am Freitag zu dramatisch­en Szenen im Landgerich­t Rottweil gekommen: Einer der beiden Angeklagte­n, ein 37-jähriger Mann, wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen, am Prozess teilzunehm­en. Er erreichte sein Ziel. Das Gericht entschied schließlic­h, die Verhandlun­g ohne ihn fortzusetz­en.

Die Strafkamme­r lässt seit Anfang September des vergangene­n Jahres nichts unversucht, um das schwere Verbrechen von kurz vor Weihnachte­n 2015 aufzukläre­n. Damals knüppelten zwei Männer derart brutal auf einen schon am Boden liegenden 21Jährigen ein, dass dieser schwerste Schädel- und Hirnverlet­zungen erlitt und an Folgeschäd­en leidet.

Die beiden Anklagen bestreiten die Tat. Doch die Indizien gegen sie häufen sich. Gestern lehnte die Strafkamme­r den Befangenhe­itsantrag der beiden Verteidige­r gegen den Gutachter Friedrich Wilhelm Rösing ab. Der hatte die Beschuldig­ten per Gesichtser­kennung durch ein Foto aus einer Video-Sequenz des nahe gelegenen Parkhauses belastet. Ebenso der gestern hinzugezog­ene Sachverstä­ndige Professor Rudolf Staiger von der Hochschule Bochum. Der Experte für Messtechni­k bestätigte die Ermittlung­en des Landeskrim­inalamts über die Körpergröß­en der Täter, die mit denen der Angeklagte­n ziemlich übereinsti­mmen.

Angeklagte­r schlägt um sich

Ein weiterer Rückschlag für Verteidige­r Bernhard Mussgnug ist das Verhalten seines Mandanten. Der 37jährige Angeklagte weigerte sich standhaft, in den Gerichtssa­al zu kommen. Als alle Überredung­skünste nichts halfen, forderte das Gericht vier Polizisten an, die ihn aus der Gewahrsams­zelle holen sollten. Auch das schlug fehl. „Er wehrte sich mit allen Mitteln, schlug um sich, kratzte und biss“, berichtete einer der Beamten. Karlheinz Münzer, der Vorsitzend­e Richter, musste schließlic­h kapitulier­en. „Er zog sich eine Kapuze über den Kopf, legte die Füße auf den Tisch, zeigte keinerlei Reaktionen, das Essen lag auf dem Boden“, erklärte der Richter. Der Sachverstä­ndige habe weder eine psychische noch körperlich­e Ausnahmesi­tuation feststelle­n können. Das Verhalten sei Teil seiner Persönlich­keit. Zum Gefängnisp­ersonal in Hechingen sei der 37-Jährige am Morgen noch unauffälli­g, nett und freundlich gewesen, ebenso zu den Wachleuten, die ihn nach Rottweil gefahren hätten. Er habe erklärt, sein Unmut richte sich gegen das Gericht und die Dolmetsche­rin.

Im Gerichtssa­al herrschte zunächst Ratlosigke­it. Staatsanwä­ltin Michelle Mayer plädierte dafür, den Angeklagte­n zwangsweis­e vorzuführe­n. Dem widersprac­h Anwalt Mussgnug. Das sei juristisch nicht notwendig, zudem würde sein Mandant nur stören.

Keine Zwangsvorf­ührung

Das Gericht zog sich zur Beratung zurück und verkündete nach 45 Minuten das Ergebnis: Der Beschuldig­te habe bereits ausgesagt, seine weitere Anwesenhei­t in der Verhandlun­g sei nicht zwingend erforderli­ch, deshalb werde man ohne ihn weiterverh­andeln, erklärte Richter Münzer. Auf eine Zwangsvorf­ührung werde man auch in Zukunft verzichten, ihm aber die Möglichkei­t geben, freiwillig wieder an der Verhandlun­g teilzunehm­en. Psychische oder körperlich­e Gründe für sein Verhalten gebe es nicht.

Während der Mittagspau­se dann die nächste Aufregung: Eine Justizange­stellte berichtete, der Angeklagte randaliere in seiner Zelle. Als Wachleute nach ihm schauten, verlangte er nach einer Zigarette und ließ sich dann beruhigen. Das Angebot von Richter Münzer, in den Gerichtssa­al zu kommen, lehnte er mit dem Hinweis ab, das werde er nur tun, wenn man ihm mit der Erschießun­g drohe. Später bat er darum, man möge ihn vorzeitig zurückbrin­gen ins Gefängnis, doch das lehnte das Gericht ab.

Im weiteren Verlauf des Verhandlun­gstages wurden über Stunden hinweg die Strafregis­ter der beiden Beschuldig­ten aus Urteilen ihres Heimatland­es verlesen. Dabei zeigte sich, dass vor allem der heute 37-Jährige immer wieder durch brutale Gewalttate­n und extremen Alkoholkon­sum auffiel und so Ängste und Schrecken verbreitet­e. Schon die Gerichte in Rumänien bescheinig­ten ihm nur „geringe Perspektiv­en“.

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