Kosten für Flüchtlinge sorgen für Unruhe
Landkreise fürchten, auf Ausgaben für Unterbringung sitzen zu bleiben
RAVENSBURG/STUTTGART - Zahlt das Land wie versprochen alle Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen? Seit Monaten laufen Gespräche zwischen Innenministerium und den Landkreisen darüber, nun zieht der Ravensburger Kreiskämmerer Franz Baur die Notbremse: Sein Kreis ist landesweit der erste, in dem der Finanzdezernent eine Haushaltssperre verhängt. Die Verantwortlichen fürchten, dass ihnen Ende des Jahres neun Millionen Euro fehlen könnten, sollte das Land nicht zahlen. Das Innenministerium beruhigt, kann aber noch keine Lösung präsentieren.
Pauschale nicht praktikabel
Auslöser der Debatte ist, dass seit Mitte 2016 wesentlich weniger Menschen nach Baden-Württemberg kommen als 2015. Aus dieser Zeit stammt die Vereinbarung zwischen Landkreisen und der Landesregierung. Zunächst hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) betont, es gebe für jeden Flüchtling eine Pauschale. Aus dieser müsse jeder Kreis die Kosten für Unterbringung, Kleidung, medizinische Versorgung und Geldleistungen an die Flüchtlinge bestreiten.
Doch es zeigte sich rasch, dass die Ausgangslage in den Kreisen zu unterschiedlich war. So hatten zum Beispiel einige Landratsämter freistehend eigene Gebäude, andere mussten diese anmieten – und die Mietpreise variieren im Land ebenfalls. Deswegen lenkten Kretschmann und sein damaliger Finanzminister Nils Schmid (SPD) ein.
Manchmal fließt Geld zurück
Seit Ende 2015 gibt es eine sogenannte nachgelagerte Spitzabrechnung. Die grün-schwarze Koalition hat zugesichert, diese weiter zu führen. Die Kreise bekommen nun weiterhin pro Flüchtling einmalig 13 972 Euro. Das Land überweist diese je nach Status des Flüchtlings zwischen drei und sechs Monate nach dessen Aufnahme. Nach Rechnungsabschluss können die Kreise aber seither weitere Kosten geltend machen. Einige mussten aber auch Geld zuückzahlen, weil sie weniger als die Pauschalen verbraucht hatten.
Grundlage für diese Erstattung ist eine komplizierte Berechnungsformel, die sich an Zugangs- und Belegungszahlen orientiert. Das Problem: Seit die Zugangszahlen stark zurückgehen, bekämen viele Kreise nach diesem Modell weniger Geld, als sie tatsächlich ausgegeben haben.
Für Ravensburg heißt das: Der Kreis hat neue Unterkünfte entweder selbst bauen lassen oder längerfristig gemietet. Unterkünfte, die derzeit teils komplett oder zur Hälfte leer stehen, weil monatlich nur noch 25 Flüchtlinge in den Landkreis kommen, aber die gleichen Fixkosten verursachen. Zum Vergleich: 2015 nahm der Kreis 2450 Asylbewerber auf, 2016 noch 1262. Dementsprechend höher war die Erstattung.
Wenn die Flüchtlingszahlen so niedrig wie in den ersten beiden Monaten bleiben, würden dem Kreis Ravensburg im laufenden Haushaltsjahr nach Auskunft von Kämmerer Franz Baur etwa neun Millionen Euro fehlen. Deshalb hat er eine Haushaltssperre verhängt: Alle Investitionen ab einem Wert von 50 000 Euro sind vorerst auf Eis gelegt, Ausschreibungen wurden gestoppt.
Kreise „in Vorleistung gegangen“
Der Kreis will darauf pochen, dass das Land die tatsächlichen Kosten für die Flüchtlingsunterbringung übernimmt und setzt auf den Landkreistag, der darüber gerade mit dem Innenministerium verhandelt.
„Wir haben das Angebot der Spitzabrechnung so verstanden, dass die Kreise die Kosten zu 100 Prozent erstattet bekommen und es sich bei der Pauschale lediglich um eine Abschlagszahlung handelt“, sagte Baur auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. So sehen das auch andere Kreise, der Landkreis- und der Städtetag. Drastische Schritte wie eine Haushaltssperre plant sonst niemand. Aber, so der Sprecher des Bodenseekreises: „Wir gehen davon aus, dass das Land seine Zusagen einhält und beobachten die Diskussion genau. Wir sind bei der Flüchtlingsunterbringung erheblich in Vorleistung gegangen.“
Carsten Dehner, Sprecher des Innenministeriums, versichert: „Wir werden wie vereinbart die tatsächlichen Kosten tragen, auch jene für nun leerstehende Unterkünfte – wenn diese nicht weitervermietet oder anders genutzt werden können.“Ganz so einfach wird die Sache aber nicht zu lösen sein: Es bedarf der Änderung eines Landesgesetzes, in dem die Erstattung der Kosten geregelt ist.
Folgen für Landeshaushalt unklar
Außerdem ist unklar, wie sich die nachträgliche Erstattung auf den Landeshaushalt auswirkt. Im schlimmsten Fall könnte das eingeplante Geld nicht reichen und ein Nachtragshaushalt fällig werden. „Aktuell gehen wir nicht davon aus“, so Dehner. 424 Millionen Euro sind derzeit für Kostenerstattungen an die Kreise vorgesehen.
Ravensburgs Landrat Sievers setzt Hoffnungen in die Verhandlungen des Landkreistages. „Wir sind da relativ gelassen und gehen davon aus, dass die Finanzierungsfrage in zwei Wochen gelöst ist.“Auch der Präsident des Landkreistages hält eine Lösung für wahrscheinlich. Ob es innerhalb der kommenden zwei Wochen klappt, sei eher unwahrscheinlich. Aus dem Innenministerium heißt es, ein Ende der Verhandlungen lasse sich nicht vorhersagen.