Erdogan steht allein da
Lassen wir Spekulationen über Absichten und Hintergründe beiseite. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die Türkei mit seinen Ausfällen gegen alle, die ihm nicht passen, in die Isolation geführt. Das großspurige Fabulieren über die angebliche Macht seines Landes hilft ihm vielleicht bei einigen seiner Landsleute, international macht er sich damit lächerlich. Das zerrüttete Verhältnis zu Europa wird er auf lange Zeit nicht kitten können, und auch sonst steht Erdogan mittlerweile eher alleine da.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat den türkischen Staatschef schon lange – trotz verbaler Freundschaftsbekundung – auf ein gewisses Normalmaß zurechtgestutzt. Erdogan träumt vom Einfluss in Syrien, die Russen machen ihm aber die Tür zu. Baschar al-Assad ist dort weiterhin an der Macht, und die Kurden stabilisieren sich in autonomen Regionen.
Nach dem Abschuss einer russischen Maschine Ende 2015 hatte Putin mit einem Bündel von Maßnahmen Erdogan vorgeführt. Kleinlaut musste der Türke in Moskau Abbitte leisten, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Jetzt im Wahlkampf hat der frühere Bürgermeister von Istanbul an einer solchen Verschärfung aber großes Interesse. Er braucht die aggressive und europafeindliche Stimmung, um sein antidemokratisches Referendum gewinnen zu können.
Dass die Regierungspartei AKP alle Wahlkampfauftritte in Europa abgesagt hat, ist ein Zeichen dafür, dass von türkischer Seite nun an der nächsten Provokation gebastelt wird: dem Bruch mit der Europäischen Union. Die EU-Mitgliedsländer sollten deshalb schon alleine aus Gründen der Selbstachtung handeln. Wenn sie der Türkei die sogenannten Vor-Beitrittshilfen in Höhe mehrerer Milliarden Euro streichen würden, wäre dies ein Zeichen, das auch in Ankara verstanden würde. Ohnehin ist unter der aktuellen Führung eine EU-Mitgliedschaft der Türkei utopisch. Es ist tragisch: Der über Jahre erfolgreiche Modernisierer Erdogan wirft sein Land mutwillig um Jahrzehnte zurück.