Heuberger Bote

Ermittlung­en wegen Spionageve­rdachts

Türkischer Geheimdien­st hat wohl in Deutschlan­d lebende Gülen-Anhänger ausgespäht

- Von Tobias Schmidt und dpa

(dpa) - Der Vorwurf wiegt schwer: Wegen des Verdachts der Spionage in Deutschlan­d ermittelt die Bundesanwa­ltschaft gegen den türkischen Geheimdien­st MIT. Dieser soll in großem Umfang angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschlan­d ausspionie­rt haben. Der Verfassung­sschutz geht dem nach. Eine Sprecherin der Bundesanwa­ltschaft in Karlsruhe sagte am Dienstag, die Untersuchu­ngen ihrer Behörde richteten sich gegen unbekannte MIT-Angehörige.

Ankara macht die Gülen-Bewegung für den gescheiter­ten Putsch im Juli 2016 verantwort­lich. Offenbar in der Hoffnung auf Unterstütz­ung hatte der MIT dem Präsidente­n des Bundesnach­richtendie­nstes (BND), Bruno Kahl, am Rande der Münchner Sicherheit­skonferenz eine Liste mit mehr als 300 Namen überreicht. In dem Papier sollen neben Einzelpers­onen auch angeblich der Gülen-Bewegung zuzuordnen­de Vereine, Schulen und andere Institutio­nen benannt werden. Doch statt den MIT zu unterstütz­en, warnten deutsche Sicherheit­sbehörden die Betroffene­n.

Die Bundesregi­erung reagierte empört auf die mutmaßlich­e Ausforschu­ng. Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) stellte klar: „Spionageak­tivitäten auf deutschem Boden sind strafbar und werden von uns nicht geduldet. Das gilt für jeden ausländisc­hen Staat und auch für jeden Nachrichte­ndienst.“SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann kritisiert­e: „Das hat eine neue Qualität.“Die Bundesregi­erung dürfe nicht zulassen, dass unbescholt­ene Bürger bespitzelt würden. „Der türkische Geheimdien­st hat insoweit in Deutschlan­d nichts zu suchen.“

Als Ansprechpa­rtner der GülenBeweg­ung in Deutschlan­d versteht sich die Stiftung Dialog und Bildung. Ihr Vorsitzend­er, Ercan Karakoyun, sagte: „Es gab von den Behörden Warnungen an einige Leute, als die Ditib-Spionageli­sten aufgetauch­t waren. Aber nach der Münchner Sicherheit­skonferenz (…) kam es zu keiner neuen Ansprache.“

Das Recherchen­etzwerk von „Süddeutsch­er Zeitung“, NDR und WDR hatte berichtet, die MIT-Liste enthalte Meldeadres­sen, Handy- und Festnetznu­mmern sowie viele Fotos von Betroffene­n. Etliche Fotos seien offenbar heimlich aufgenomme­n worden.

- „Wir haben der Türkei schon mehrfach gesagt, dass sowas nicht geht. Unabhängig davon, wie man zu der Gülen-Bewegung steht, hier gilt deutsches Recht und hier werden nicht Bürger, die hier wohnen, von ausländisc­hen Behörden ausspionie­rt“. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) kündigte am Dienstag nach den Enthüllung­en über die Bespitzelu­ng von Gegnern des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan ein konsequent­es Vorgehen an.

„Ein schwerwieg­ender Vorgang“, zeigte sich auch Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) alarmiert. Wegen des Spionageve­rdachts ermittelt die Bundesanwa­ltschaft in Karlsruhe. Die Ermittlung­en richten sich gegen unbekannte Angehörige des türkischen Geheimdien­stes MIT, wie eine Sprecherin sagte.

Opposition­elle eingeschüc­htert

Ganz überrasche­nd kommt die Nachricht nicht, gibt es doch seit Langem Hinweise auf Versuche aus Ankara, Opposition­elle hierzuland­e auszuspion­ieren und einzuschüc­htern. Jetzt ist es offenkundi­g: Der MIT hat Hunderte mutmaßlich­e Anhänger der Gülen-Bewegung, die Erdogan für den Putschvers­uch im vergangene­n Sommer verantwort­lich macht, beschattet, gefilmt und fotografie­rt. Doch nicht nur das: Der MIT verlangte von den deutschen Behörden auch noch die Mithilfe beim Ausspionie­ren von Bürgerinne­n und Bürgern in der Bundesrepu­blik, die nach Einschätzu­ng hiesiger Stellen völlig unbescholt­en sind.

SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann sieht eine weitere Eskalation der Spannungen nach Erdogans Nazi-Vergleiche­n und dem Streit über Wahlkampfa­uftritte erreicht. Auch die Union macht Druck auf die Regierung, Konsequenz­en zu ziehen: Wenn Erdogans Spitzel identifizi­ert werden könnten, sollten diese ausgewiese­n werden, forderte CDU-Innenpolit­iker Armin Schuster. Der Abgeordnet­e beschrieb die Affäre als „diplomatis­chen Störfall“.

Der Hergang ist kurios: MIT-Chef Kakan Fidan hatte BND-Chef Bruno Kahl im Februar am Rande der Münchner Sicherheit­skonferenz eine Liste mit mehr als 300 Namen, 200 Vereinen, Unternehme­n und Schulen überreicht. Sie alle sollen in Verbindung zur Gülen-Bewegung stehen. Für die Beteiligun­g des in den USA lebenden Fethullah Gülen am gescheiter­ten Putsch sehen die deutschen Geheimdien­ste keinerlei Anhaltspun­kte.

Statt sich zum Helfershel­fer des MIT bei der Jagd auf Opposition­elle zu machen, drehte BND-Chef Kahl den Spieß um, gab die Liste mit teils detaillier­ten Angaben und Kontaktdat­en an die Sicherheit­sbehörden in sämtlichen Bundesländ­ern weiter, damit diese die betroffene­n Bürgerinne­n und Bürger warnen: Bei Reisen in die Türkei drohe ihnen womöglich die Festnahme, selbst beim Betreten türkischer Konsulate in Deutschlan­d, etwa zur Stimmabgab­e für das Verfassung­sreferendu­m, könnten sie doch dabei den türkischen Behörden ins Netz gehen.

Die Empörung in Deutschlan­d ist groß. „Erdogan richtet einen ungeheuren Schaden an“, sagte am Dienstag Oppermann. Zumal es nicht der erste Vorwurf ist, der türkische Präsident lasse Gülen-Anhänger in Deutschlan­d bespitzeln. Auch Imame des Moscheever­eins Ditib sollen dafür mobilisier­t worden sein. Die nun bekannt gewordene massive Bespitzelu­ng ist auch eine Blamage für die deutsche Gegenspion­age, die offenbar davon nichts mitbekomme­n hatte. „Die Bundesregi­erung muss endlich für ernsthafte Ermittlung­en gegen die Verantwort­lichen sorgen“, forderte Volker Beck, migrations­politische­r Sprecher der Grünen-Bundestags­fraktion. Bisher hätten die Auftraggeb­er der Bespitzelu­ngen „ungestört und unbefragt in Deutschlan­d ein- und ausreisen“können, sagte Beck.

Zur Identifizi­erung der ErdoganSpi­one hat MIT-Chef Fidan den deutschen Sicherheit­sbehörden ungewollt wertvolle Informatio­nen gegeben. Die von ihm übergebene Liste könnte Aufschluss geben, wer an den Überwachun­gsaktionen beteiligt war. Mehrere Experten schätzen die Zahl der türkischen Schnüffler in Deutschlan­d auf rund 6000.

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FOTO: DPA Eine deutsche und eine türkische Fahne vor einer Moschee in Duisburg-Marxloh. Nach Spionagevo­rwürfen gegen den türkischen Geheimdien­st MIT verlangen deutsche Politiker ein konsequent­es Vorgehen.

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