Ankara fühlt sich von Feinden umzingelt
Neuer Ärger in der Türkei über Deutschland und die USA
- Kaum hat sich der Streit um Auftrittsverbote für türkische Politiker in Europa gelegt, deutet sich neuer Krach zwischen der Türkei und ihren westlichen Partnern an. Die Ermittlungen der deutschen Bundesanwaltschaft gegen den türkischen Geheimdienst MIT lösten am Mittwoch bei Anhängern von Präsident Recep Tayyip Erdogan heftige Empörung aus. Ärger gibt es auch mit den USA, weil die Behörden in New York einen führenden Manager einer staatlichen türkischen Bank in Haft genommen haben. Im Wahlkampf der Regierung vor dem Verfassungsreferendum spielen die Vorwürfe an den Westen eine große Rolle. Erdogan sieht sich nach wie vor viel Skepsis hinsichtlich des geplanten Präsidialsystems gegenüber.
„Erdogan-Feindschaft ist zu einer Mode geworden“, sagte Ministerpräsident Binali Yildirim bei einer Wahlkampfkundgebung über die Lage in der EU. Die Europäer sollten sich gefälligst aus den inneren Angelegenheiten der Türkei heraushalten. Ankara wirft Europa vor, die Bewegung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen zu unterstützen. Mehrere regierungstreue Zeitungen schimpften am Mittwoch über einen „Verrat“Deutschlands, weil der Bundesnachrichtendienst (BND) die Erkenntnisse des türkischen Geheimdienstes MIT über Gülen-Anhänger in Deutschland an die Betroffenen weitergegeben hat. Die Politologin Nursin Atesoglu Güney sagte dem Erdogan-freundlichen Blatt „Star“, Europa wolle eine Türkei, die von außen leicht zu steuern sei, und werbe deshalb für eine Ablehnung von Erdogans Präsidialplan bei der Volksabstimmung am 16. April.
Banker in den USA verhaftet
Türkeifeindliche Machenschaften wittert Ankara auch in den USA. Die Festnahme von Hakan Atilla, eines Vizechefs der staatseigenen Halkbank, wegen des Verdachts auf Verstöße gegen die Iran-Sanktionen Washingtons wurde in staatsnahen Medien in der Türkei als Ergebnis von Gülens Einfluss gewertet. Außenminister Mevlüt Cavusoglu will den Fall beim ersten Türkei-Besuch seines neuen amerikanischen Kollegen Rex Tillerson an diesem Donnerstag zur Sprache bringen.
Das türkisch-amerikanische Verhältnis ist unter anderem durch das bisherige Nein der USA zu einer Auslieferung des in Pennsylvania lebenden Gülen sowie durch Interessengegensätze im Syrien-Konflikt belastet. Erdogan selbst warf den USA in den vergangenen Monaten sogar vor, in den Putschversuch vom Juli verwickelt gewesen zu sein. Türkische Medien meldeten jetzt, das US-Konsulat in Istanbul habe den mutmaßlichen Putschanführer und Gülen-Gefolgsmann Adil Öksüz knapp eine Woche nach dem Umsturzversuch angerufen. Öksüz ist untergetaucht.
Erdogan hatte die Spannungen mit dem Westen in jüngster Zeit eskalieren lassen, um nationalistische Wähler für das anstehende Referendum zu motivieren. Laut Umfragen ist der Ausgang der Volksabstimmung aber immer noch ungewiss; jeder zehnte Wähler hat sich noch nicht entschieden. In der Endphase des Wahlkampfes werden verstärkte Bemühungen von Erdogan und seinen Gegnern in den Großstädten des Landes erwartet: Der Kolumnist Murat Yetkin wies in der „Hürriyet“darauf hin, dass die Wahlentscheidung in den Metropolen fallen wird, nicht auf dem flachen Land – allein in Istanbul lebt jeder fünfte Wähler der Türkei. AKP-Vertreter waren in den vergangenen Tagen mit der Einschätzung zitiert worden, in Istanbul hätten die Gegner des Präsidialsystems die Mehrheit.
Nicht nur am Bosporus hat Erdogan Probleme. Interne Umfragen der Erdogan-Partei AKP zeigen laut Yetkin, dass der Präsident in vielen Großstädten bisher nicht genügend Wähler für sich gewinnen konnte. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass der als gewiefter Wahlkämpfer bekannte Staatschef seine Taktik änderte. Überraschend besuchte er in Istanbul einen Informationsstand der Oppositionspartei CHP und diskutierte mit den dortigen Aktivisten.