Regieren war gestern
Nachts im Kanzleramt – es war womöglich die letzte Folge dieser Serie vor der Bundestagswahl. Und das Drehbuch war einmal mehr vorhersehbar. Immerhin gab es die Neubesetzung einer der Hauptrollen: Die Premiere von Martin Schulz fiel allerdings enttäuschend aus. Wieder einmal gibt es nur kleine Schritte beim schwarz-roten Koalitionsausschuss. Der Bundestagswahlkampf wirft seine Schatten voraus. Immerhin: Kurz vor Ende der Wahlperiode sagen Union und SPD Einbrechern den Kampf an, tun mehr gegen Missbrauch bei Sozialleistungen und einigen sich auf ein Verbot von Kinderehen. Seht her, wir regieren noch! So lautet das Signal des nächtlichen Verhandlungsmarathons. Doch tatsächlich geht jetzt nicht mehr viel vor der Bundestagswahl im September.
Eigentlich wollte Merkel-Herausforderer Schulz schon diesen Gipfel meiden, sich fernhalten vom schwarz-roten Basar, Abstand halten von der Union und der von ihm ungeliebten Großen Koalition. Stattdessen wurde der Wahlkampf eingeläutet. Ab jetzt werden die Strategien im Kampf ums Kanzleramt offenbar: Die SPD schreibt sich die soziale Gerechtigkeit auf ihre Fahnen. Sei es die Einführung einer Solidarrente, die Begrenzung der Managergehälter, ein Anspruch auf Rückkehr aus der Teilzeit- in Vollzeitbeschäftigung oder die Lohngleichheit für Frauen und Männer. Schulz und seine Genossen wollen mit Wohltaten und Umverteilung punkten. Die Union dagegen setzt auf innere Sicherheit sowie auf die positive Entwicklung bei Wachstum und Beschäftigung.
Der Fehler an der Sache ist offensichtlich: Die beste Wahlwerbung für beide Parteien wäre, in den verbleibenden Monaten wichtige Projekte auf den Weg zu bringen, anstatt sich zu streiten. Schließlich geht es darum, zu beweisen, dass man bereit ist, gesellschaftspolitische Verantwortung zu übernehmen und Kompromisse im Sinne der Allgemeinheit zu schließen. Doch Regieren war gestern. Es beginnen die Absetzbewegungen, die Auseinandersetzungen und der Kampf um die Macht zwischen den Regierungspartnern.