Auf die Trauer folgten psychische Probleme
Prinz Harry spricht erstmals offen über den Tod seiner Mutter Diana
- Vier Monate vor dem 20. Todestag von Prinzessin Diana hat Prinz Harry erstmals ausführlich über den Tod seiner Mutter gesprochen. Das Geschehen habe er lange Jahre verdrängt, bis sein psychisches Gleichgewicht mehr und mehr ins Wanken gekommen sei. Vor etwa vier Jahren sei er „kurz davor gewesen, jemanden zu verprügeln”, berichtet der britische Adelsspross. „Ich war mehrmals nahe am totalen Zusammenbruch.“Intensive Gespräche mit Psychologen hätten ihn gerettet, sagt der 32-jährige Prinz, der andere Menschen mit vergleichbaren Traumata zu größerer Offenheit ermutigen will: „Noch nie hat jemand psychische Störungen überwunden, ohne darüber zu reden.“
Das offenherzige, fast halbstündige Gespräch mit einer Kolumnistin des konservativen „Daily Telegraph“stellt offenbar eine Art Belohnung für die super-loyale Berichterstattung des Blattes dar. Die Zeitung füllte am Montag ihre ersten fünf Seiten mit der Exklusivgeschichte aus dem Königshaus. Anlass ist der Londoner Marathon am kommenden Wochenende, bei dem unter anderem für die Wohlfahrtsorganisation „Heads Together“gesammelt wird. Diese Initiative hatte der Prinz gemeinsam mit seinem älteren Bruder William und dessen Frau Kate, beide 35, im vergangenen Jahr gegründet. Sie soll zur Entstigmatisierung psychischer Störungen und Krankheiten beitragen.
Henry Charles Albert David, wie der Prinz offiziell heißt, war acht Jahre alt, als sich seine Eltern, Thronfolger Charles und dessen erste Frau Diana, 1992 trennten. Fünf Jahre später geriet die Welt des knapp 13-Jährigen vollends aus den Fugen, als die 36-jährige Diana am 31. August 1997 mit ihrem Freund Dodi Fayed in Paris tödlich verunglückte. „Als Zwölfjähriger die Mutter zu verlieren, in aller Öffentlichkeit – da würde wohl jeder sagen, man kann nicht ganz normal sein“, analysiert der junge Mann seine Situation. Er aber habe den Kopf in den Sand gesteckt und am liebsten gar nicht mehr an die Mutter gedacht: „Es macht dich nur traurig, sagte ich mir. Sie wird davon nicht wieder lebendig.“
Mit dieser Einstellung ging der Prinz rund 15 Jahre lang durchs Leben, bis sich mit 27, 28 Jahren die Probleme zu häufen begannen. Da sei plötzlich „der ganze Schmerz“an die Oberfläche gekommen, erinnert sich der Prinz. Mehrfach habe er öffentliche Auftritte als Royal kaum durchstehen können. Flucht oder Kampf – „fight or flight“– sei mehr und mehr seine Alternative gewesen. „Und da ich nicht fliehen konnte, war ich auf Kampf eingestellt.“Mit der Unterstützung seines Bruders bekam der ohnehin als Prügel- und Party-Prinz verschriene Soldat aber doch noch die Kurve. In langen Gesprächen mit Profis habe er seine unverarbeitete Trauer besprochen. Zu Hilfe kam ihm auch das Boxen: „Das ist wirklich gut dafür, die eigenen Aggressionen loszuwerden.“
Einsatz in Afghanistan
Wie William hat auch Harry die britischen Boulevardblätter und deren bekanntermaßen robusten Methoden für den Tod der geliebten Mutter mitverantwortlich gemacht. Bis heute gilt das Verhältnis als extrem schwierig, immer neue Zwischenfälle machten die Beziehung zwischen Königshaus und Medien, in der doch beide Beteiligten aufeinander angewiesen sind, nicht leichter. Der damalige Berufssoldat Harry prügelte sich schon mal vor einem Londoner Nachtclub mit einem Fotografen. Sein Kriegseinsatz in Afghanistan als junger Offizier der Infanterie musste 2007 abgebrochen werden, weil ein australisches Magazin das zwischen Armee und Medien vereinbarte Schweigen gebrochen hatte. 2012 druckten die Zeitungen Nacktfotos des Party-Prinzen im Nahkampf mit den leicht bekleideten Schönheiten von Las Vegas. Vergangenen Herbst protestierte Harry scharf gegen die Belästigung seiner Freundin, der USSchauspielerin Meghan Markle, durch aufdringliche Fotografen. Von ihr ist im „Telegraph“-Gespräch mit keinem Wort die Rede.
Den zweiten Kriegseinsatz in Afghanistan, diesmal als Hubschrauberpilot, schließt Harry ausdrücklich als Ursache seiner psychischen Probleme aus: „Gott sei Dank gehörte ich nicht zu denen, die eine schwere Verletzung eines Kameraden mitansehen mussten.“Die Arbeit in einer Erstversorgungseinheit habe ihn aber für die psychischen Probleme solcherart Betroffener sensibilisiert. Nach rund zwei Jahren „Chaos“und weiteren zweieinhalb Jahren, in denen er nach und nach seinen Problemen ins Auge sah, fühlt sich der Prinz jetzt gut. „Ich nehme mein Privatleben und meinen Beruf ernst. Ich kann Blut, Schweiß und Tränen investieren, um etwas zu verändern.“
Die mentale Gesundheit der Bevölkerung spielt in der öffentlichen Diskussion Großbritanniens seit einigen Jahren eine größere Rolle. Prominente wie der Schauspieler Stephen Fry, Spindoktor Alistair Campbell oder Ex-Fussballer Rio Ferdinand haben durch die Schilderung eigener psychischer Störungen zu größerer Offenheit beigetragen. Das Engagement der jungen Royals verleiht der guten Sache zusätzliche Schubkraft. Harry habe durch das 25-minütige Gespräch „mehr erreicht als ich in 25 Berufsjahren“, freut sich Professor Simon Wesley vom Verband der Psychiater.