Die Mutter der Compagnie
Primaballerina, Ballettchefin und Hüterin von Crankos Erbe: Marcia Haydée wird 80
(dpa) - Das Stuttgarter Ballettwunder ist untrennbar mit dem Namen John Cranko verbunden. Doch um sein Erbe zu pflegen, brauchte es eine weitere Legende: Marcia Haydée. Heute feiert die ehemalige Primaballerina und Direktorin des Stuttgarter Balletts ihren 80. Geburtstag.
Sie hätte gehen können, damals, als John Cranko 1973 plötzlich starb, der Vater des Stuttgarter Ballettwunders. Doch Marcia Haydée bleibt, springt ein, hält das künstlerische Erbe des Briten mit begnadeten Tänzern am Leben und wird so zur Mutter der berühmten Tanzcompagnie. Heute feiert die Brasilianerin ihren 80. Geburtstag. In Südamerika. Nach Stuttgart wird sie erst Ende April wieder kommen. Am Welttanztag gratuliert ihr die Compagnie. Natürlich mit einer Aufführung von Crankos „Romeo und Julia“. Die Haydée war die Julia bei der Premiere 1962.
„Ich wurde bezahlt für das, was ich liebe“, hat sie mal gesagt. Als Marcia Haydée Salaverry Pereira da Silva im brasilianischen Niterói bei Rio de Janeiro geboren, kommt sie nach einem Tanzstudium an der Royal Ballet School in London zum Grand Ballet du Marquis de Cuevas in Monte Carlo. 1958 begegnete sie dort dem Mann, der sie berühmt macht: der junge britische Choreograf John Cranko. Ihm folgt sie zum Ballett der Staatstheater in Stuttgart.
Cranko macht Haydée zu seiner Ersten Solistin, schafft für sie eine unvergessene Porträtgalerie interessanter Frauengestalten in den Balletten „Romeo und Julia“, „Onegin“oder „Der Widerspenstigen Zähmung“. 1973 dann der Schock: Cranko stirbt. Ganz plötzlich. Und Haydée wird – zunächst etwas widerwillig – seine künstlerische Nachlassverwalterin. Ihr gelingt, was niemand für möglich gehalten hätte: Das Stuttgarter Ballett überlebt, Haydée verpflichtet die besten Choreografen, darunter John Neumeier und Jiri Kylián.
Als „phänomenale Frau“bezeichnet Tamas Detrich (57) die Jubilarin. Sie hat den Amerikaner ungarischer Herkunft damals entdeckt, bald wird er Nachfolger von Reid Anderson (68) als Intendant in Stuttgart. Sie sei „mehr als nur meine Direktorin“gewesen, sagt Detrich. „Sie war wie eine Mutter und eine gute Freundin für mich, jemand, den ich mit tiefstem Respekt bewundere. Wenn sie tanzte, war es jedes Mal pure Magie, sobald sich der Vorhang hob.“
Noch-Intendant Anderson erinnert sich an viele gemeinsame Auftritte: „Sie war und ist offen, bodenständig, bezaubernd, konsequent, hart arbeitend und durch und durch eine Perfektionistin, was mir als ihr Tanzpartner sehr entgegenkam“, sagt der gebürtige Kanadier. Als Tänzerin habe sie „tolle Instinkte“gehabt, „wirkte immer natürlich, war voller Fantasie und positiver Energie“. Viele Choreografen hätten sie verehrt. „Sie hat alle verzaubert“, meint er. Sein besonderes Erlebnis: der gemeinsame Gremin-Pas de Deux aus „Onegin“. „Jedes Mal erhielten wir Szenenapplaus.“
Mythische Momente
Dass Reid Anderson Tamas Detrich zu seinem Nachfolger aufbaut, wird in Stuttgart auch als Hommage an die Haydée verstanden. Und die Jubilarin findet es gut: „Tamas kam noch am Anfang meiner Zeit, sie haben die Cranko-Zeit alle noch gespürt. Die neue Generation ist schon zu weit weg, die haben es nicht erlebt – die mystischen Momente mit Cranko.“
Lob und Anerkennung für Haydée kommt auch aus Karlsruhe von einer einstigen Mitstreiterin: Birgit Keil (72), wie die Jubilarin auch eine Cranko-Entdeckung. Heute leitet Keil das Karlsruher Ballett. Mit Haydée verbinde sie 35 Jahre tiefe Freundschaft. „ Bis heute ist sie mein größtes Vorbild“, sagt Keil.