Projekt Familie
In „Jahrhundertfrauen“setzt Mike Mills seiner Mutter ein filmisches Denkmal
n seinem dritten Film erzählt „Thumbsucker“-Regisseur Mike Mills eine liebenswerte Geschichte vom Erwachsenwerden in den USA Ende der 1970er-Jahre: Der 15-jährige Jamie wächst, umgeben von drei starken Frauen in Kalifornien auf.
Bei Dramen oder Komödien über das Heranwachsen, den sogenannten Coming-of-Age-Filmen, spielt die Zeit, in der das Geschehen angesiedelt ist, eine besondere Rolle: Wählt man die Gegenwart, um ganz unmittelbar das Hier und Jetzt einzufangen? Dieser Ansatz wird vorzugsweise von jüngeren Filmemachern gewählt, schließlich haben sie zu dieser Zeit den meisten Bezug und fangen im besten Falle ein Lebensgefühl für spätere Generationen ein. Aus dem gleichen Grund siedeln nicht mehr ganz junge Regisseure solche Filme gerne in der Zeit ihres eigenen Heranwachsens an. Mit etwas Abstand lässt sich das Zeitalter besser einordnen und zeigen, dass Pubertätsnöte ziemlich universell sind.
Mike Mills zählt klar zur zweiten Kategorie. Neben eigenen Erinnerungen setzt er sich dabei auch mit seinen Eltern auseinander. So hatte sein Vater, der sich kurz nach dem Tod der Mutter mit 75 Jahren als homosexuell outete, bereits die Vorlage zu seinem letzten Film „Beginners“geliefert. „Jahrhundertfrauen“ist nun vor allem der 1999 verstorbenen Mutter gewidmet. Annette Bening („American Beauty“) spielt die von ihr inspirierte Dorothea Fields mal hartgesotten, mal verständnisvolloffen, mal ratlos-überfordert. Diese darstellerische Leistung lohnt allein schon den Besuch des Films. Dorothea ist spät Mutter geworden, geschieden und lebt in Santa Barbara. Die Welt, in der Sohn Jamie (Lucas Jade Zumann) aufwächst, ist nicht mehr die ihre. Zwar hat sie liberale Ansichten und mit dem intellektuellen Wave-Pop der Talking Heads kann sie sich noch anfreunden, aber was soll dieser aggressive Punkrock von Bands wie Black Flag? Mehr noch als der kulturelle ist es der soziale Wandel, mit dem sich die in der Depression aufgewachsene Dorothea schwertut.
Daher bittet sie zwei junge Frauen, sie dabei zu unterstützen, aus Jamie einen „guten Mann“zu machen: Die Fotografin Abbie (Greta Gerwig), die bei der Familie zur Untermiete wohnt, und Jamies beste Freundin Julie (Elle Fanning). Die 17Jährige ist ohnehin regelmäßiger Gast in dem Haus, sieht die Beziehung zu Jamie aber zu dessen Frustration als rein platonisch. Komplettiert wird die bunte Truppe durch Mitmieter William (Billy Crudup), einem tiefenentspannten Alt-Hippie. Mit der Zeit wird aber immer unklarer, wer hier wem eigentlich gerade Lebenshilfe leistet.
Über eines sollte sich der Zuschauer klar sein: Eine ausgefeilte Handlung kann man hier keinesfalls erwarten, richtig viel passiert nicht. Nun sind es aber auch im richtigen Leben eher die kleinen Dramen, Momente und Entwicklungen, die den Alltag prägen. Und lebensnah wirken die Figuren hier allesamt, ebenso wie das Zeitgemälde frei von rückblickender Verklärung ist. So gelingt Mills ein gut beobachteter Schnappschuss, der auch anspricht, wenn man die Zeit, in der sein Film angesiedelt ist, nicht selbst erlebt hat.