Heuberger Bote

Projekt Familie

In „Jahrhunder­tfrauen“setzt Mike Mills seiner Mutter ein filmisches Denkmal

- Von Stefan Rother

n seinem dritten Film erzählt „Thumbsucke­r“-Regisseur Mike Mills eine liebenswer­te Geschichte vom Erwachsenw­erden in den USA Ende der 1970er-Jahre: Der 15-jährige Jamie wächst, umgeben von drei starken Frauen in Kalifornie­n auf.

Bei Dramen oder Komödien über das Heranwachs­en, den sogenannte­n Coming-of-Age-Filmen, spielt die Zeit, in der das Geschehen angesiedel­t ist, eine besondere Rolle: Wählt man die Gegenwart, um ganz unmittelba­r das Hier und Jetzt einzufange­n? Dieser Ansatz wird vorzugswei­se von jüngeren Filmemache­rn gewählt, schließlic­h haben sie zu dieser Zeit den meisten Bezug und fangen im besten Falle ein Lebensgefü­hl für spätere Generation­en ein. Aus dem gleichen Grund siedeln nicht mehr ganz junge Regisseure solche Filme gerne in der Zeit ihres eigenen Heranwachs­ens an. Mit etwas Abstand lässt sich das Zeitalter besser einordnen und zeigen, dass Pubertätsn­öte ziemlich universell sind.

Mike Mills zählt klar zur zweiten Kategorie. Neben eigenen Erinnerung­en setzt er sich dabei auch mit seinen Eltern auseinande­r. So hatte sein Vater, der sich kurz nach dem Tod der Mutter mit 75 Jahren als homosexuel­l outete, bereits die Vorlage zu seinem letzten Film „Beginners“geliefert. „Jahrhunder­tfrauen“ist nun vor allem der 1999 verstorben­en Mutter gewidmet. Annette Bening („American Beauty“) spielt die von ihr inspiriert­e Dorothea Fields mal hartgesott­en, mal verständni­svolloffen, mal ratlos-überforder­t. Diese darsteller­ische Leistung lohnt allein schon den Besuch des Films. Dorothea ist spät Mutter geworden, geschieden und lebt in Santa Barbara. Die Welt, in der Sohn Jamie (Lucas Jade Zumann) aufwächst, ist nicht mehr die ihre. Zwar hat sie liberale Ansichten und mit dem intellektu­ellen Wave-Pop der Talking Heads kann sie sich noch anfreunden, aber was soll dieser aggressive Punkrock von Bands wie Black Flag? Mehr noch als der kulturelle ist es der soziale Wandel, mit dem sich die in der Depression aufgewachs­ene Dorothea schwertut.

Daher bittet sie zwei junge Frauen, sie dabei zu unterstütz­en, aus Jamie einen „guten Mann“zu machen: Die Fotografin Abbie (Greta Gerwig), die bei der Familie zur Untermiete wohnt, und Jamies beste Freundin Julie (Elle Fanning). Die 17Jährige ist ohnehin regelmäßig­er Gast in dem Haus, sieht die Beziehung zu Jamie aber zu dessen Frustratio­n als rein platonisch. Komplettie­rt wird die bunte Truppe durch Mitmieter William (Billy Crudup), einem tiefenents­pannten Alt-Hippie. Mit der Zeit wird aber immer unklarer, wer hier wem eigentlich gerade Lebenshilf­e leistet.

Über eines sollte sich der Zuschauer klar sein: Eine ausgefeilt­e Handlung kann man hier keinesfall­s erwarten, richtig viel passiert nicht. Nun sind es aber auch im richtigen Leben eher die kleinen Dramen, Momente und Entwicklun­gen, die den Alltag prägen. Und lebensnah wirken die Figuren hier allesamt, ebenso wie das Zeitgemäld­e frei von rückblicke­nder Verklärung ist. So gelingt Mills ein gut beobachtet­er Schnappsch­uss, der auch anspricht, wenn man die Zeit, in der sein Film angesiedel­t ist, nicht selbst erlebt hat.

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