Europa schafft Grenzen für Datenströme ab
EU-Parlament macht den Weg frei für Nutzung von Web-Streamingdiensten bei vorübergehenden Aufenthalten im EU-Ausland ab 2018
- Die digitale Welt hat keine Grenzen. Zumindest denkt das jeder, der daheim die Wettervorhersage für die Pazifikinsel Tuvalu aufruft oder wissen will, womit sich gerade die Zeitung „The Nation“auf den Seychellen beschäftigt. Wenn sie die nationalen Grenzen in der analogen Welt überschreiten, merken jedoch viele Verbraucher, dass die obige These nicht stimmt. Etwa dann, wenn sie im Ausland auf ihren Smartphones auf abonnierte Streaming-Dienste zugreifen wollen. „In Ihrem Land nicht verfügbar“, liest man dann oft auf einem schwarzen Bildschirm. Nach dem Willen der EU-Parlamentarier soll damit aber bald Schluss sein.
Voraussichtlich ab Anfang 2018 gelten in der EU neue Regeln, wonach jeder Reisende ungehindert und ohne zusätzliche Gebühren Filme von Amazon Prime streamen, unterwegs Sportübertragungen auf Sky Go schauen und Musik von Deezer hören kann, wenn er in seinem Heimatland Abogebühren für diese Dienste bezahlt. Das entschied am Donnerstag das EU-Parlament in Straßburg.
Bereits im Februar 2017 hatten sich die Unterhändler der Europäischen Kommission, der Mitgliedsstaaten und des Parlaments nach langen Verhandlungen grundsätzlich darauf geeinigt, dem sogenannten „Geoblocking“einen Riegel vorzuschieben. Unternehmen wie Netflix oder Amazon sperren bislang ihre kostenpflichtigen Abo-Inhalte für Urlauber, Studenten oder Geschäftsleute auf Dienstreisen im Ausland, weil sie die Streaming-Lizenzrechte für einzelne Länder verkaufen wollen. Die Gegner der Reform verwiesen zuvor auch auf mögliche Verletzungen der Urheberrechte im Ausland.
Die neue Regelung trägt diesen Bedenken Rechnung, indem die Unternehmen „wirksame und zumutbare“Maßnahmen ergreifen dürfen, um zu überprüfen, ob der Abonnent nicht in einem EU-Land mit niedrigeren Preisen ein Abonnement bezahlt, den Dienst aber in seinem Heimatland nutzt. Andererseits soll jemand, der seinen Wohnsitz komplett aus Deutschland ins Ausland verlegt, ein deutsches Abo nicht weiter nutzen können.
Um dies sicherzustellen, dürfen die Streaming-Dienste künftig etwa Personalausweise, Zahlungsdetails, öffentlich verfügbare Steuerinformationen, Postanschriften oder IPAdressen kontrollieren. Sie müssen dabei strenge Datenschutzbestimmungen einhalten. Der Gesetzesentwurf muss im Juni vom EU-Ministerrat gebilligt werden, was aber nur als eine Formsache gilt. Sobald die Verordnung in Kraft tritt, haben die Mitgliedsstaaten neun Monate Zeit, um die neuen Regeln einzuführen.
70 Prozent laden Inhalte herunter
Laut einer Umfrage der EU-Kommission haben im vergangenen Jahr zwei von drei Europäern das Internet genutzt, um Spiele, Bilder, Filme oder Musik herunterzuladen. In Deutschland waren es sogar rund 70 Prozent. Viele der Befragten wollen dies auch während ihrer Reisen in Europa tun. Es wird erwartet, dass diese Zahlen nach der Abschaffung der RoamingGebühren im Juni noch steigen, da mehr EU-Bürger in anderen EU-Ländern über ihre Mobilgeräte auf das Internet zugreifen werden.
„Wir können keine Grenzen in den Köpfen der Menschen überwinden, solange die EU-Bürger noch mit Grenzen im Alltag konfrontiert werden, etwa beim Web-Streaming. Darum ist dieser Beschluss ein großer Schritt nach vorne“, sagt die VizeParlamentspräsidentin Evelyne Gebhardt (SPD) aus Künzelsau. Das nächste Ziel sei die Abschaffung von Geoblocking für Waren und Dienstleistungen im Ausland.
Zurzeit können die Konsumenten günstigere Produkte im Ausland oft nicht kaufen, weil Unternehmen den Zugriff blockieren oder die Kunden zu einem lokalen Onlineshop mit höheren Preisen umleiten. Gebhardt kritisiert diese Praxis als eine Diskriminierung, die im EU-Binnenmarkt inakzeptabel sei.