Konjunkturindikator auf Rekordniveau
Handwerkskammer-Präsident Gotthard Reiner spricht über die wirtschaftliche Lage
(cg) - Die Auftragsbücher bei den Handwerkern in Deutschland sind voll. Das gilt auch für diejenigen im Landkreis Tuttlingen. Über die aktuelle Situation im Handwerk sprach unser Redakteur Christian Gerards mit Gotthard Reiner, Präsident der Handwerkskammer Konstanz, die auch für Tuttlingen zuständig ist.
Herr Reiner, wie steht das Handwerk derzeit im Kammerbezirk da?
Wir können klar sagen, dass wir derzeit eine gute wirtschaftliche Lage haben. Es gibt leichte Schwankungen, aber es geht der gesamten Branche gut. Der Konjunkturindikator bei den Handwerkern lag im ersten Quartal bei 73 Punkten. So hoch war er noch nie im ersten Quartal. Im Vorjahrsquartal lag er bei 70 Punkten. 80 Prozent der Bauunternehmen sprechen von einer guten Konjunktur, 72 Prozent der Zulieferer sagen das auch.
Wird das im Laufe des Jahres so blieben?
Es gibt keine negativen Signale am Horizont. 2017 wird sich weiterhin stabil entwickeln. Das ist auch begründbar: Das Baugewerbe profitiert von den niedrigen Zinsen. Die Energiewende wird uns noch über viele Jahre beschäftigen, was dem Handwerk ebenfalls zugute kommt. Das gilt auch für die zunehmende Digitalisierung und den Breitbandausbau. Ein großes Thema sind fehlende Fachkräfte in einigen Branchen. Wir haben teilweise zu wenig Mitarbeiter, so dass manche Aufträge nur verzögert abgearbeitet werden können und verschoben werden müssen.
Das dürfte zu Frust bei den Kunden führen, oder?
Das Handwerk wird sich immer bemühen, dringende Angelegenheiten abzuarbeiten und dem Kunden schnell zu helfen. Wir müssen trotz der vollen Auftragsbücher flexibel handeln und Prioritäten setzen, wenn etwa ein Notfall eingetreten ist. Dabei ist sicher auch die Kundentreue ein Thema. Der Handwerker wird zunächst seine langjährigen Kunden im Blick haben.
Das bedeutet also, die Kunden müssen bei normalen Aufträgen mit einer längeren Wartezeit rechnen?
Die überwiegende Anzahl der Handwerker spricht von vollen Auftragsbüchern. Natürlich können sie auch kurzfristige Zusagen machen, wenn sie Zeit haben. Es lohnt sich also immer, anzurufen und nachzufragen, ob ein Termin frei ist. Im Baubereich haben 64 Prozent der Betriebe einen Auftragsbestand von zwölf Wochen und mehr. Es gibt daher auch Baustellen, die sich etwas verzögern.
Sie sprachen den Fachkräftemangel im Kammerbezirk an. Gibt es denn dabei auch positive Nachrichten?
Es ist nicht einfach, Auszubildende zu finden. Aber im Landkreis Tuttlingen hatten wir bei den Ausbildungsverträgen im vergangenen Jahr ein Plus von 12,5 Prozent. Im Kammerbezirk waren es im Vergleich dazu lediglich 3,2 Prozent. Für uns ist es die große Kunst, die Eltern davon zu überzeugen, dass die Handwerksberufe eine spannende Zukunft haben. Dabei sind wir mit unserer Imagekampagne auf einem guten Weg. Viele Schüler bauen lieber auf das auf, was sie kennen, und hängen lieber noch ein Schuljahr dran.
Wer das Abitur macht, der landet also seltener im Handwerk?
Wir haben bei den Auszubildenden knapp 13 Prozent, die ein Abitur haben. Die Tendenz ist steigend. Was für uns wichtig ist: Schüler mit einem Abitur sind bei uns gerne gesehen. In größeren Betrieben brauchen wir auch etwa Abteilungsleiter und Planer. Und wir brauchen Handwerker, die in der Lage sind, einen Betrieb zu übernehmen. Die Anforderungen im Handwerk steigen kontinuierlich.