Schöner beten mit Pink Floyd
Londoner Victoria & Albert-Museum widmet der Rockband eine feierliche Ausstellung
- Im durch und durch säkularen Großbritannien haben die Kirchen ihre Bedeutung verloren, der Sonntag dient ausgedehnten Shopping-Trips oder Sportveranstaltungen. Gottesdienst-Ersatz bieten Kulturschaffende, ein schönes Beispiel stellt die neueste Prachtausstellung über die Popgruppe Pink Floyd im Victoria & Albert-Museum (V& A) dar
Vor Jahren begannen die Kuratoren mit der Aufarbeitung der PopKultur am (damals noch) lebenden Objekt. „David Bowie Is“zelebrierte eine Ikone. Der gewaltige Andrang gab den Ausstellungsmachern recht. Im vergangenen Jahr feierte eine Schau über die zweite Hälfte der 1960er-Jahre Triumphe, ein „Bombardement der Sinne“(„The Guardian“) mit psychedelischer Musik und grellen Farben, ein audiovisueller Anbetungswirbel.
„Nostalgie ohne Erinnerung“hat der Beatles-Biograf Philip Norman das Phänomen der nachgeborenen Anbeter genannt. Von einer kritischen, distanzierten Auseinandersetzung mit einer Zeit und deren Heroen kann keine Rede sein, auch nicht in der neuesten V & A-Galaschau. Sie ist der Rockband Pink Floyd gewidmet. Deren Musik, Plattencover und bombastische Bühnenbilder haben immer neue ästhetische Maßstäbe gesetzt.
Dass deren Anführer, Sänger und Hauptkomponisten Roger Waters (Bass) und David Gilmour (Gitarre) musikalische Genies sind, wer würde das bezweifeln? Sie waren so gut, dass ihnen eine kritiklose, kommerziell glatte Show nicht gerecht werden kann. Der Ausstellungstitel „Ihre sterblichen Überreste“(Their mortal remains) verweist ironisch ins Transzendente. Wie leicht hätte sich daran anknüpfen lassen! Stattdessen wird den (viel Geld) zahlenden Besuchern der V & AAusstellung nicht weniger als die Beteiligung an einer kultischen Handlung abverlangt.
Zeitreise in die Vergangenheit
Sie beginnt, wie jeder ordentliche Gottesdienst, mit einer Bußübung: Wer nicht in aller Herrgottsfrühe erscheint, beginnt die Annäherung ans Allerheiligste trotz längst gelöster Eintrittskarte mit mehr oder minder langem Anstehen. Erst dann dürfen sich die Gläubigen die unerlässlichen Kopfhörer (natürlich vom Sponsor Sennheiser) überstreifen und die feierlich abgedunkelte Weihestätte betreten. Dort beginnt die Zeitreise in die psychedelische Welt von Drogen und experimenteller Musik Mitte der 1960er-Jahre, als vier junge Engländer in London ihre Band Pink Floyd nannten.
Es herrscht feierliche Stille, die Ausstellungsbesucher sind ja von ihren je eigenen Klangwolken umhüllt. Schon das Klicken einer Kamera wirkt wie eine empfindliche Störung. In Hochglanz, mit feinsten Materialien in dezent beleuchteten Vitrinen werden die „Ingenieure des Experimentierens“gefeiert, chronologisch wird eines nach dem anderen der Alben aus den 1970erJahren behandelt. Die Prisma-Pyramide, Markenzeichen des bahnbrechenden Albums „Dark Side of the Moon“(1973), hat einen eigenen Raum erhalten, wohl als Anerkennung dafür, dass die Platte bis heute durchschnittlich 7000 Mal pro Woche verkauft wird.
Die legendären Illustrationen für „Wish you were here“(1975), darunter der Handschlag zweier Geschäftsleute, müssen sich einen Raum teilen. Ein gewaltiges NeonSchwein spielt auf „Animals“(1977) und den Flug eines Artgenossen über das ehemalige Kraftwerk von Battersea an und eine 13 Meter lange Wand auf „Wall“(1979).
Bänkchen zum Niederknien vor den Ikonen wären der Stimmung angemessen, würden aber das Gedränge noch verschlimmern. Mögen Waters, Gilmour & Co sich auch stets „normalen“Popmusikern wie den Beatles oder Rolling Stones überlegen gefühlt und ein Gefühl der Exklusivität gepflegt haben – in den V & A-Räumen herrschen Zustände wie beim Schlussverkauf im nahen Kaufhaus Harrods.
Die bitteren, Jahrzehnte lang dauernden Zerwürfnisse über Urheberrechte und Bandhierarchie werden als „gut dokumentierte Spannung zwischen Mitgliedern der Gruppe“abgetan, die zudem deren Kreativität befeuert habe. Zum Schluss erhalten die Gläubigen den Segen: Pink Floyd-Fans seien „ebenso hartgesotten wie passioniert“, lobt der Ausstellungstext. Und haben über die Jahrzehnte eine „echt progressive Band, die nie aufhörte zu experimentieren“, unterstützt.
Solcherart gestreichelt heißt es nun Helm, äh, Kopfhörer ab zum Gebet: Im letzten Ausstellungsraum werden Bilder vom letzten gemeinsamen Live-Auftritt 2005 gezeigt, als Gottesdienst-Nachspiel sozusagen, Glockenläuten inbegriffen. Fehlt nur noch der Besuch im Devotionalienladen. Dort gibt es sechs Tourprogramme der Band im feierlichschwarzen Kartonkasten (69 Euro). Für den Hausaltar.