Die übermotivierten Schwiegersöhne
3500 Fans feiern Xavier Naidoo beim Open Air in Schloss Salem – trotz aller Kontroversen
- Ein Verschwörungstheoretiker vor barocker Kulisse: Rund 3500 Besucher haben am Freitagabend in Schloss Salem Xavier Naidoo und den Söhnen Mannheims zugejubelt. Die jüngste Kontroverse um den Musiker spielte für sie keine Rolle, wurde aber von der Band immer wieder aufgegriffen – fast schon dankbar, wie es schien.
„Marionetten“haben sie nicht gespielt. Der Song vom aktuellen Album „MannHeim“, mit dem sich Xavier Naidoo vor wenigen Wochen wieder einmal auf wenig erstrebenswerte Art ins Gespräch brachte, steht an diesem Freitagabend nicht auf dem Programm. In „Marionetten“skandiert Naidoo in Richtung Bundestag fragwürdige Textzeilen wie „Teile eures Volks nennen euch schon Hoch- beziehungsweise Volksverräter“. Mit dem im Netz von Rechtsextremen beklatschten Song setzte sich der 45-Jährige dem Vorwurf aus, Pegida-Parolen eine musikalische Heimat zu bieten und antistaatliche Ressentiments zu schüren. Und mit dem im Liedtext enthaltenen Stichwort „Pizzagate“machte Naidoo einmal mehr seinem Ruf als Verschwörungstheoretiker alle Ehre.
Der Begriff steht für eine „Fake News“aus den USA, derzufolge die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton in einen Kinderpornoring verwickelt ist, der von einer Pizzeria in Washington aus agiert. Ein Anhänger dieser skurrilen Falschmeldung ging deshalb vergangenen Dezember mit dem Sturmgewehr in die fragliche Pizzeria und gab dort Schüsse ab, verletzt wurde glücklicherweise niemand.
Naidoo und die Söhne Mannheims arbeiten in kulturellen Belangen seit vielen Jahren eng mit der Stadt Mannheim zusammen. Im Fall von „Marionetten“sprach Naidoo von einer möglicherweise missverständlichen Zuspitzung gesellschaftlicher Zustände. Zudem betonte er seine Herkunft, seine südafrikanisch-irische Mutter und seinen indisch-deutschen Vater. Doch auch wenn er sich in einem Facebook-Statement gegen politische Instrumentalisierung aussprach, bleibt die Frage: Was reitet diesen Mann? Einerseits gibt er den gläubigen Christen und erreicht als Casting-Juror ein Millionenpublikum im TV. Andererseits irritiert er seit Jahren mit kruden Verschwörungstheorien zum 11. September und der Souveränität Deutschlands. Er provozierte mit homophoben und antisemitischen Äußerungen und trat 2014 bei einer Veranstaltung der sogenannten Reichsbürger auf, die die Existenz Deutschlands als souveränem Staat leugnen.
Vage Anspielungen
Obwohl „Marionetten“an sich an diesem Abend nicht gespielt wird: Die Söhne Mannheims thematisieren es zwischen den Zeilen. Dabei wirken die Formulierungen bewusst vage, der Titel selbst wird kein einziges Mal genannt. Trotzdem weiß jeder, was gemeint ist, wenn sich die Söhne Mannheims selbst als zu unrecht am Pranger stehende Formation inszenieren. Am Ende des Sets will die Band gern noch eine Zugabe spielen, aber es gibt eine Hausordnung zu beachten, um 23.15 Uhr muss Schluss sein. „Müssen wir jetzt schon Strafe zahlen? Kommt, wir legen zusammen“, flachst die Band, die seit 1995 in immer wieder wechselnder Besetzung auftritt. Man sei ja ohnehin eine „Skandalband“.
Henning Wehland – in den 1990ern mit den H-Blockx und Songs wie „Risin’ High“populär geworden – sagt zu Beginn des Konzerts, es sei ja heute eine Mutprobe, sich zu den Söhnen Mannheims zu bekennen. Und zwischendrin ruft Sänger Rolf Stahlhofen den Fans zu: „Wir lassen uns vor keinen Karren spannen, unser Karren ist voll mit Liebe und Respekt.“
Überhaupt, Liebe: Würde man Liedtexte und Ansagen des Abends als Wortwolke abbilden, Liebe und Respekt wären wohl die größten Begriffe. Ach ja, und Salem. Sie werden nicht müde zu betonen, wie toll es ist, in der imposanten Location auftreten zu dürfen. Als die untergehende Sonne den Abendhimmel in spektakuläre Farben hüllt und sich die Kameralinsen unzähliger Smartphones eher darauf als auf die Bühne konzentrieren, fragt Naidoo, ob den Menschen, die hier leben, überhaupt noch bewusst sei, wie schön es hier ist. Wenn die Band nicht gerade den multikulturellen Hintergrund ihrer Mitglieder betont – Zimbabwe, Nigeria, USA und noch mehr Länder zählen sie auf – bedanken sich die Söhne bei allen, die den Auftritt möglich gemacht haben. Da wirken sie fast schon wie übermotiviert nette Schwiegersöhne.
Solider Pop
Musikalisch ist alles solide gemacht, keine Frage. Eine Band ist nicht 22 Jahre lang erfolgreich auf den Bühnen dieser Republik unterwegs und in den Charts präsent, ohne ihr Handwerk zu beherrschen. Die verschiedenen Stimmen ergänzen sich, das unverkennbare Schmachten von Naidoo kontrastiert mit dem opernhaften Tenor von Claus Eisenmann. Die Musiker sind gut aufeinander eingespielt. So bunt gemischt wie die Band auf der Bühne ist auch das Publikum. Tätowierte Damen mit farbenfrohen Haaren stehen einträchtig neben durchtrainierten Männern im Poloshirt. Da ist die etwas prollige Familie, die sich lieber laut unterhält, als das Konzert zu genießen, aber auch der smart gedresste Gentleman, der dezent mitwippt. Schuh- und sockenlos genießen manche den Rasen unter ihren Füßen, während andere in bequemen Sneakers ausgelassen tanzen.
Der Jubel ist bei den großen Hits wie „Geh davon aus“und „Wenn ein Lied“am größten. Plakative Sozialkritik („Kinder“) gemischt mit Kalendersprüchen („Das hat die Welt noch nicht gesehen“) und spirituellem Nimbus („Iz On“): Das kommt an. „Der Xavier ist einfach der Beste“, sagt ein Konzertbesucher zu seinem Nebenmann. Man fragt sich, was sich der Musiker noch leisten muss, damit auffällt, dass er ein Wirrkopf ist, der Nächstenliebe mit falscher Offenheit verwechselt.