Neues Netz-Gesetz: Wirksames Mittel gegen Hass – oder Zensur?
(sz) - Das „Faustrecht im Netz“solle das neue Netzwerkdurchsetzungsgesetz laut Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) beenden. Es sieht Strafen für Facebook, Twitter und andere Betreiber sozialer Netzwerke vor, wenn sie strafbare Inhalte nicht schnell genug löschen. Als solche gelten unter anderem Hetze gegen Einzelpersonen und ganze Volksgruppen.
Doch es ist nicht unumstritten. Netzaktivisten befürchten, die Betreiber könnten im Zweifelsfall auch nicht strafbare Inhalte löschen, um Strafen zu vermeiden, und so die Meinungsfreiheit einschränken. Andere sprechen von einer „Privatisierung des Rechts“.
Verbände wie der Zentralrat der Juden in Deutschland begrüßten das Gesetz am Freitag hingegen als „starkes Instrument gegen Hate Speech“. Die Online-Redakteure der „Schwäbischen Zeitung“, Robert Kolm und Christian Schellenberger, argumentieren für und gegen das Gesetz.
Als das Internet noch jung war, gab es den Begriff der „Netiquette“: Damit war gemeint, dass jeder (!), der sich im Netz zu Wort meldet, die Regeln des Anstandes beachten sollte. Das hat sich aber leider nicht durchgesetzt: Im Netz wird gepöbelt und gehetzt, was das Zeug hält.
In Deutschland haften Forenbetreiber unter gewissen Umständen für solche Kommentare. Facebook hat sich jedoch bislang stets zurückgelehnt. Gewinne abschöpfen ja, Verantwortung für Inhalte übernehmen nein. Im Zweifel mögen sich deutsche Anwälte an die Europazentrale in Irland wenden, wo man Fälle im Sande verlaufen ließ. Es drohten keine ernsthaften Konsequenzen.
Doch damit ist jetzt Schluss, und das ist auch gut so! Kritiker monieren, die Meinungsfreiheit sei in Gefahr. Das ist Unsinn! Jeder darf in unserem Land auch weiterhin seine (auch unbequeme) Meinung haben. Aus gutem, historisch bedingtem Grund steht in unserem Strafgesetzbuch jedoch, dass diese öffentlich nicht geäußert werden darf, wenn sie geeignet ist „den öffentlichen Frieden zu stören“, gegen Minderheiten hetzt oder die Menschenwürde angreift. Genau das war in sozialen Netzwerken aber bislang quasi ungestraft möglich. Zur Erinnerung: Wenn irgendwo eine nackte Brust auftaucht – und sei es auf einem historischen Bild oder einer Zeichnung – löscht Facebook schneller als die Feuerwehr. Und Hass und Hetze sollen wir dulden? Nein!
Die Entscheidung, welche öffentliche Äußerung gesetzeskonform ist und welche nicht, haben bislang immer unabhängige Gerichte getroffen. Doch damit ist nun Schluss, zumindest in weiten Teilen des Internets, wenn künftig Unternehmen mit wirtschaftlichen und politischen Interessen darüber befinden sollen, was gerechtfertigte Meinungsäußerung und was Hetze ist. Was in einem Rechtsstaat eigentlich undenkbar schien, passiert jetzt mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Die Rechtsprechung wird privatisiert. Der Fall Böhmermann hat eindrücklich gezeigt, wie schwierig es ist, einen einzelnen Fall zu beurteilen. Und nun sollen von unternehmerischen Interessen geleitete „Laien-Richter“diese Aufgabe übernehmen? Das Fiasko ist absehbar. Doch es geht nicht um eine x-beliebige Richtlinie, sondern eines der höchsten Güter unseres Staates: die grundgesetzlich verbriefte Meinungsfreiheit. Die Gefahr besteht, dass diese ausgehebelt wird, wenn in vorauseilendem Gehorsam gelöscht wird. Doch das von Justizminister Maas durchgedrückte Gesetz ist auch noch aus einem anderen Grund zum Scheitern verurteilt. Es gilt nämlich nur für Internet-Plattformen, die mehr als zwei Millionen Nutzer haben. Wer künftig seine kruden, rassistischen oder zutiefst verletzenden Äußerungen gegen Minderheiten verbreiten will, wird also weitermachen wie bisher – nur eben in einem anderen Netzwerk.
Hass und Hetze nicht dulden! Von Robert Kolm Meinungsfreiheit ist in Gefahr. Von Christian Schellenberger