Eiszeithöhlen sollen Weltkulturerbe werden
Unesco berät über Bedeutung der weltweit ältesten Belege für Kunst und Musik auf der Schwäbischen Alb
- Nur noch wenige Tage, dann hat Baden-Württemberg höchstwahrscheinlich sein sechstes Weltkulturerbe. Dieses Mal geht es um die „Höhlen der ältesten Eiszeitkunst“, wie der Sachverhalt amtlich formuliert wird. Sie liegen bei Blaubeuren im Achtal sowie nordöstlich von Ulm im Lonetal. In der Landesregierung ist man zuversichtlich, den kulturellen Ritterschlag zu bekommen, ebenso vor Ort. Dort haben sich viele seit Jahren ins Zeug gelegt, um den Antrag zur Aufnahme in die Weltkulturerbe-Liste zu untermauern.
Für den Laien sind es zunächst nur sechs mehr oder weniger große Höhlen im Karstgestein der Schwäbischen Alb. Keine hat oberflächlich betrachtet je einen überbordenden Eindruck gemacht. Die Sensation liegt dann auch in dem, was im Boden war – oder vielleicht noch sein könnte. Als sensationell hat sich speziell ein Fund erwiesen: die Venus vom Hohle Fels, ein kurvenreicher Damentorso aus Mammutelfenbein, gerade mal sechs Zentimeter hoch, dafür aber rund 40 000 Jahre alt. Es gibt keinen vergleichbaren Gegenstand auf der Welt, der älter ist.
Unesco tagt ab Montag in Krakau
Gefunden wurde die Venus vor neun Jahren. Ihre Entdeckung kann als Initialzündung für jenen Prozess bezeichnet werden, der nun in der einstigen polnischen Königsstadt Krakau enden dürfte. Dort trifft sich von Montag an bis zum 12. Juli das Welterbekomitee der UN-Kulturorganisation Unesco. Es ist dessen 41. Sitzung. Und einer der Anträge betrifft die Höhlen der Eiszeitkunst.
„Die Entscheidung wird voraussichtlich am 8. oder 9. Juli fallen“, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium in Stuttgart. Ihm ist im Land die Denkmalpflege zugeordnet, weshalb es auch darüber entscheidet, welche Kulturerbe-Kandidaten der Unesco vorgeschlagen werden.
Ministerin Nicole HoffmeisterKraut (CDU) hält die Höhlen für „faszinierende Kulturstätten“. Sie sind unter volkstümlich gängigen Namen bekannt: der erwähnte Hohle Fels, Geißenklösterle, Sirgenstein, Vogelherd, Bockstein und Hohlenstein-Stadel. Lange konnte man mit ihnen in der Landeshauptstadt aber wenig anfangen. Das Eiszeitthema war schwer zu vermitteln. Kenner der Szene sagen, dass der Focus bis vor wenigen Jahren eher auf Baudenkmälern gelegen habe. Da sei halt für jeden Großes sichtbar.
Zumindest haben die ersten beiden erfolgreichen WeltkulturerbeAnträge aus Baden-Württemberg zu dieser Kategorie gehört: die Insel Reichenau mit dem dortigen Kloster und das Kloster Maulbronn nordwestlich von Stuttgart. Erst das Jahr 2005 bescherte schließlich dem Südwesten ein Kulturerbe, von dem nicht mehr viel in die Höhe ragt: der Obergermanisch-Rätische Limes. Er ist jedoch kein singuläres Welterbe. Ausgezeichnet wurden nämlich alle existierenden römischen Grenzanlagen – auch die in Nordafrika oder in Großbritannien.
Dass schließlich die Höhlen mit der Eiszeitkunst ins öffentliche wie ministerielle Bewusstsein vorrückten, hat vor allem mit einem Tübinger Professor zu tun: dem Archäologen Nicholas J. Conard. Der gebürtige Amerikaner versteht sich zum einen aufs Ausgraben. So wurde unter seiner Leitung die Venus entdeckt. Des Weiteren hat er aber auch ein Händchen für Öffentlichkeitsarbeit. „Unsere Funde sind für alle da – und nicht nur für den akademischen Bereich“, hat Conard einmal gesagt. Dieser Tage hat der Professor am Ort seines größten Triumphes im Hohle Fels nochmals betont: „Wir haben hier die ältesten Belege für Kunst und Musik auf Erden.“
Löwenmensch aus Mammutelfenbein
Wenn auch die inzwischen im Blaubeurener Urgeschichtlichen Museum ausgestellte Venus eine Spitzenposition einnimmt, sind weitere Funde aus den Höhlen ähnlich spektakulär. Etwa die 35 000 bis 40 000 Jahre alte Flöte aus Mammutelfenbein, gefunden im Geißenklösterle. Ebenso beispielhaft ist der aus dem gleichen Material bestehende und in Ulm gezeigte Löwenmensch, ein Stück aus dem Hohlenstein-Stadel.
Die Liste ließe sich problemlos verlängern. Wichtig für einen eindrucksvollen Überblick war aber das Zusammenführen solcher Funde. Dies geschah 2009 bei der großen Landesausstellung zur Eiszeit in Stuttgart. Conard war natürlich mit von der Partie. Das Thema war in der Öffentlichkeit angekommen. In den strukturschwachen Tälern von Lone und Ach tauchte die Frage auf, ob sich mit Höhlen und Eiszeitkunst nicht verstärkt Besucher anlocken lassen würden.
Seit 2012 schließlich wurde die Unesco-Nominierung der Fundstätten vorbereitet. Dazu mussten die wichtigsten Höhlen ausgewählt werden, schließlich gab es Funde in vielen der von Höhlen durchsetzten Region. Klar war aber, dass nur wenige für einen Publikumsbesuch taugen. Die Wahl fiel auf die erwähnten sechs Höhlen. Wobei dem Vogelherd schon vor fünf Jahren ein archäologischer Themenpark beigestellt wurde.
In Blaubeuren erfuhr das Urgeschichtliche Museum eine Generalüberarbeitung. Am Hohle Fels soll eine Art Infozentrum entstehen. Die Höhle liegt auf Schelklinger Gemarkung. „Wir wollen zeigen, wie Ausgrabungen funktionieren und Wissenschaftler arbeiten“, sagt Bürgermeister Ulrich Ruckh.
Beata Hertlein vom Landesamt für Denkmalpflege registriert das örtliche Engagement mit Wohlwollen: „Wir müssen schon herausstellen, was wir hier haben.“Um die Dimension des Titels Weltkulturerbe zu unterstreichen, wählt sie einen spektakulären Vergleich. „Die Höhlen sind auf der Unesco-Liste letztlich gleichwertig mit den Pyramiden“, lauten ihre Worte. Sie werden auf der Schwäbischen Alb sicher gerne gehört.
Kurorte sind die nächsten Anwärter
Indes beteiligt sich Baden-Württemberg bereits an einem weiteren Antragsverfahren fürs Weltkulturerbe. Es geht um Kurorte. Der Antrag ist länderübergreifend. Solche Vorstöße gelten im Unesco-Prozess wegen des internationalen Ansatzes als besonders erfolgversprechend. Neben der Limesgeschichte hatte BadenWürttemberg in zwei ähnlichen Fällen bereits Glück gehabt. 2011 erkannte die Unesco Pfahlbauten rund um die Alpen als Kulturerbe an, darunter auch einige Plätze nördlich des Bodensees. 2016 kamen Häuser des Architekten Le Corbusier aus sieben Ländern auf die Liste, darunter zwei Bauten der Stuttgarter Weissenhofsiedlung. Im Fall des KurorteVerfahrens setzt Baden-Württemberg auf Baden-Baden, also auf Bad und Casino.