Schlussakt für Helmut Kohl
Im Dom zu Speyer wurde der verstorbene Altkanzler verabschiedet – Zahlreiche aktive und frühere Staatschefs anwesend
- Ein letztes Mal rückt Helmut Kohl das beschauliche Speyer in den Fokus der Weltöffentlichkeit. In den Nebenstraßen rund um den Dom parken Übertragungswagen nationaler und internationaler Fernsehsender. Auf den beiden Podesten auf dem Domplatz wetteifern Dutzende Fotografen und Kamerateams um die besten Bilder von den hochkarätigen Gästen aus In- und Ausland, die zur Totenmesse für Helmut Kohl strömen. Nur sie dürfen dem Requiem beiwohnen. Die einfachen Menschen, die Kohl 16 Jahre als Kanzler regiert hat, müssen Abstand halten. Und auch seine Söhne und deren Familien bleiben außen vor.
In den 16 Jahren seiner Kanzlerschaft hatte Kohl Staatschefs, Monarchen und auch den damaligen Papst Johannes Paul II. bei Staatsbesuchen in die 50 000-Einwohner-Stadt am Rhein geführt. Vor allem der romanische Kaiserdom wurde international auf Fernsehbildschirmen zur Visitenkarte Deutschlands. Die Ausstellung „Weltbühne Speyer“im Historischen Museum, das einen Steinwurf vom Dom entfernt liegt, beleuchtet seit einem halben Jahr diese Ära der großen Staatsbesuche. Die Totenmesse für Helmut Kohl am Samstagabend im Dom bildet wohl das finale Kapitel dieser Zeit.
Überschaubare Menge
Viele Kilometer hat der Sarg mit dem Verstorbenen an diesem Tag bereits hinter sich, bevor er im Gotteshaus ankommt. Zunächst die Reise von Kohls Oggersheimer Bungalow zum ersten europäischen Trauerakt nach Straßburg, dann der Transport per Hubschrauber zurück in Kohls Heimatstadt am frühen Nachmittag. Fünf Minuten früher als angekündigt erreicht der Autokorso mit dem Sarg des Altkanzlers den Ludwigsplatz in Ludwigshafen. Platanen säumen das Rechteck, Grünflächen und Kunst erzeugen ein kleines Idyll mitten in der Stadt – für das industrielle Ludwigshafen ein außergewöhnlicher Ort. „Für die Bevölkerung besteht die Möglichkeit, am Ludwigsplatz noch einmal Abschied von dem Verstorbenen zu nehmen“, hatte die Stadt zuvor verkündet. Doch nur eine überschaubare Menge hat sich an der Straße rund um den Platz versammelt.
Eine jüngere Frau wirft zwei Rosen auf den vorbeifahrenden Leichenwagen, ein Mann hält dem verstorbenen Kanzler der deutschen Einheit ein Transparent mit der Aufschrift „Danke aus Erfurt“entgegen. Die Fenster des Autos geben den Blick frei auf den Sarg, der in Schwarz-Rot-Gold gehüllt ist. Nur wenige Sekunden braucht die Kolonne, angeführt von Polizisten auf Motorrädern. Dann ist sie wieder weg, ohne angehalten zu haben. Die Menschen am Straßenrand klatschen leise. Ein kurzer Abschied.
Schnell lösen sich die Grüppchen an Schaulustigen auf. Nur einige Menschen bleiben noch stehen, blicken etwas ratlos. So schnell ging alles. Unter ihnen ist die 60-Jährige Birgit Kunzmann aus Heidelberg. Aufgewachsen ist sie in Oggersheim, dem Ludwigshafener Stadtteil, in dem Kohl zunächst mit seiner Frau Hannelore und den Söhnen, zuletzt mit seiner zweiten Frau Maike KohlRichter lebte. „Ich kannte ihn als Jugendliche“, sagt Birgit Kunzmann. Ihr Onkel war als CDU-Stadtrat mit Kohl befreundet, der in den 1960erJahren die Stadtratsfraktion führte. Diese persönliche Verbindung zu dem verstorbenen Oggersheimer hat sie veranlasst, zum Ludwigsplatz zu kommen. Ein zweiter Grund: „Ich hatte befürchtet, dass so wenig Leute kommen. Ich bin entsetzt über meine Heimatstadt.“
Birgit Kunzmann erinnert sich, wie Helmut Kohl mit seinen Söhnen Walter und Peter auf dem Weg zur Eisdiele bei ihrem Elternhaus haltmachte. „Ich hatte immer Angst, dass das Rad unter ihm zusammenkracht.“Solche Erinnerungen erzählen sich die älteren Ludwigshafener jetzt, während sie trotz des einsetzenden Regens noch etwas am Straßenrand ausharren. Marliese Gräbel etwa hat Kohl einmal im Wald getroffen, beim Spazierengehen. „Kohl war ohne Leibwächter unterwegs“, sagt die elegante Dame mit den rot gefärbten Lippen und den sorgsam toupierten Haaren. Und sie berichtet von dem Moment, als sie 1994 den Clintons vor der Oggersheimer Haustür der Kohls die Hände geschüttelt hat, als der damalige USPräsident zum Staatsbesuch in die Pfalz kam. „Politisch war ich nicht so auf seinem Weg“, sagt Marliese Gräbel, „aber er war bedeutend für unser Land.“Und wie sie war Kohl im Stadtteil Friesenheim aufgewachsen - Heimat verbindet.
Das letzte Stück des Wegs von Ludwigshafen nach Speyer legt der Verstorbene per Schiff auf dem Rhein zurück. Der Abschied von Helmut Kohl erinnert in vielen Details an den von Deutschlands erstem Bundeskanzler Konrad Adenauer. Auch dessen Sarg nahm die Flussroute – von Köln nach Bad Honnef. Die besondere Beziehung, die Kohl zum Speyerer Dom hatte, gleicht der von Adenauer zum Kölner Dom. Doch es gibt auch einen Unterschied: Zu Tausenden nahmen die Deutschen persönlich Abschied an Adenauers Sarg, als der im Kölner Dom aufgebahrt war. Bei Kohl ist das zu keinem Zeitpunkt möglich. Im Domgarten haben sich 600 Menschen versammelt, die der LiveÜbertragung der Totenmesse folgen. Der Zugang zum Dom ist weiträumig abgesperrt, die Bundespolizei hat mit Hubschraubern aus der Luft das Treiben auf dem Boden im Blick. 1000 Polizisten aus Rheinland-Pfalz, dem benachbarten Baden-Württemberg und vom Bund sorgen für die Sicherheit an diesem Tag.
Söhne nicht unter Gästen
Rund 1000 geladene Gäste feiern mit dem Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann die Totenmesse im Dom. Der Hausherr heißt Familie, Freunde und Weggefährten Kohls willkommen, ohne einzelne Namen zu nennen – bis er sagt: „In meine Begrüßung aufnehmen möchte ich die Söhne Walter und Peter Kohl.“Viel wurde zuletzt über den Kohl’schen Familienstreit zwischen Vater und zweiter Frau auf der einen, den Söhnen auf der anderen Seite berichtet. Beim Requiem sind die Söhne und deren Familien nicht anwesend. Die Witwe Maike Kohl-Richter sitzt im Querschiff des Doms in der ersten Reihe, ihr Gesicht von Sonnenbrille und Hut mit schwarzem Schleier bedeckt, zwischen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und dem ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton.
In den ersten Reihen des gegenüberliegenden Teils des Querschiffes sitzt Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die Kohl zunächst als sein „Mädchen“bezeichnet hatte, die sich später aufgrund einer Affäre um Parteispenden aber von ihm distanzierte. Hinter ihr Bayerns haben Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und BadenWürttembergs Ex-Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) Platz genommen. „Die große Zahl der Gäste aus aller Welt“, sagt Bischof Wiesemann in seiner Predigt über Helmut Kohl, „zeigt seine großen Verdienste für Europa.“Er habe seine pfälzische Heimat und sein deutsches Vaterland geliebt – und auch den Speyerer Dom, den er in einem Tagebucheintrag als seine „Hauskirche“bezeichnete. Konzelebrant des Requiems ist auch der ehemalige Speyerer Bischof Anton Schlembach, dessen Dienstzeit sich fast exakt mit Kohls Kanzlerschaft deckt. Er diente Kohl als Fremdenführer, wenn der Kanzler wieder einmal Staatsgäste in den Dom brachte, bevor er mit ihnen nach Deidesheim zum Saumagenessen weiterfuhr. Schlembach erinnerte sich jüngst an Kohls Aussage, dass seine Gäste in den Dom müssen, „ob sie wollen oder nicht“. Denn wer den Dom nicht kenne, kenne seine Heimat, sein Vaterland nicht.
Patriot und Europäer
Tief verwurzelt und zugleich voll Weitblick – dieses Bild von Kohl zeichnet auch Bischof Wiesemann während der Totenmesse: Patriot und Europäer zu sein waren für ihn zwei Seiten einer Medaille. Die deutsche Einheit und der Aufbau der Europäischen Gemeinschaft werden immer mit seinem Namen verbunden sein, sagt der Bischof.
Zu Ehren des überzeugten Europäers Kohl ist das Mittelschiff des Gotteshauses in Blau, die Seitenschiffe in Gelb ausgeleuchtet, das Portal und die Apsis ebenso. Der Sarg Kohls ist zwar mit einer Deutschlandfahne bedeckt, die Kirche erstrahlt allerdings in den Farben Europas. „Gütiger Gott“, sagt Bischof Wiesemann gegen Ende des eindreiviertelstündigen Requiems, „in deine Hände übergeben wir unseren Bruder Helmut.“
Acht Generäle marschieren in den Dom, es ist der Beginn des großen militärischen Ehrengeleits. Die Generäle tragen den Sarg auf den Domplatz, die Trauergäste folgen hinaus in den strömenden Regen. Eilig werden Regenschirme herbeigebracht.
Nach dem Ehrenzeremoniell verschwindet Kohls Sarg im Leichenwagen, die Witwe auf dem Beifahrersitz. Nur ein kleiner Kreis an Vertrauten nimmt nun noch an der Beerdigung Kohls auf dem Friedhof des Domkapitels in Speyer teil. Hier wird der Altkanzler liegen. Und nicht im Familiengrab bei seinen Eltern und seiner ersten Frau Hannelore in Ludwigshafen.
Bilder vom Trauerakt für Helmut Kohl unter www.schwaebische.de/ abschied-kohl