Heuberger Bote

Zahl der Scheidunge­n im Süden sinkt

Ehen in Deutschlan­d halten länger – Höchstes Risiko bei einer Dauer von vier bis sechs Jahren

- Von Marlene Gempp und unseren Agenturen

- Die Ehen in Deutschlan­d halten immer länger - und die Zahl der Scheidunge­n geht zurück. Eine geschieden­e Ehe dauerte 2016 im Durchschni­tt 15 Jahre und damit so lange wie noch nie seit der Wiedervere­inigung. Dies liegt nach Darstellun­g des Statistisc­hen Bundesamte­s in Wiesbaden vom Dienstag allerdings auch daran, dass immer mehr Ehen erst nach der Silberhoch­zeit geschieden werden: Im vergangene­n Jahr war das etwa jede Sechste; 1991 dagegen nur jede Elfte. Im Vergleich zum Vorjahr bestanden die Ehen 2016 bei der Scheidung im Durchschni­tt einen Monat länger.

Die Zahl der Scheidunge­n geht seit fünf Jahren kontinuier­lich zurück. Genau 162 397 Ehen wurden 2016 geschieden, fast 1000 oder 0,6 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Noch niedriger war die Zahl zuletzt nur 1993 mit 156 425 Scheidunge­n. Die Männer waren bei ihrer Scheidung im vergangene­n Jahr durchschni­ttlich 46 Jahre und sieben Monate alt, die Frauen genau drei Jahre jünger. Mehr als die Hälfte der geschieden­en Paare hat minderjähr­ige Kinder. Fast 132 000 Kinder und Jugendlich­e unter 18 Jahren waren von einer Scheidung betroffen.

Auch im Süden geht die Zahl zurück. So haben sich 2015 in BadenWürtt­emberg 19 903 Paare scheiden lassen, im Vergleich zu 20 328 im Jahr davor. Die Zahl für 2016 liegt noch nicht vor. Zum Vergleich: 2004 scheiterte­n 25 000 Ehen im Südwesten – die bisher höchste Zahl im Land. Das waren etwa 50 Prozent mehr als 1990. Laut des Statistisc­hen Landesamts habe sich die Scheidungs­quote seit 2004 zunächst stabilisie­rt, seit zehn Jahren sinke sie sogar. Das höchste Scheidungs­risiko liegt laut des Statistisc­hen Landesamts bei einer Ehedauer von vier bis sechs Jahren.

In Bayern scheint das verflixte siebte Jahr oft zuzuschlag­en: Relativ viele Ehen sind laut dem Bayerische­n Landesamt für Statistik im Jahr 2016 zwischen dem fünften und achten Ehejahr geschieden worden. Trotzdem sinkt auch im Freistaat die Zahl der Scheidunge­n kontinuier­lich. Laut dem Landesamt für Statistik wurden 2016 in Bayern 24 134 Ehen geschieden, 0,5 Prozent weniger als noch im Jahr zuvor.

(dpa) - Nie war eine Scheidung so einfach wie heute. Trotzdem entschließ­en sich weniger Menschen in Deutschlan­d zu diesem Schritt. Männer haben bei einer Ehescheidu­ng ihren 45. Geburtstag schon hinter sich und Frauen längst den 40. gefeiert: Das gilt in Deutschlan­d dem Statistisc­hen Bundesamte­s zufolge 2016 jedenfalls im Durchschni­tt.

Die Scheidungs­zahlen sinken weiter leicht, das Alter dagegen steigt. Diese anhaltende Phase drückt nach Einschätzu­ng von Trendforsc­her Harry Gatterer „das Ende der Individual­isierung“und „ein neues Verständni­s füreinande­r“aus. Familienth­erapeut Achim HaidLoh hält einen „ganz neuen Typus“für ausschlagg­ebend: „Es lassen sich immer mehr ältere Ehepaare auch im hohen Alter mit 70 und 80 Jahren noch scheiden.“Die meisten Menschen durchlebte­n im Alter von 50 bis 55 Jahren eine Art Lebenskris­e und orientiert­en sich in manchem neu, sagt Gatterer, der Geschäftsf­ührer des Zukunftsin­stituts in Frankfurt und Wien ist. Dazu könne auch ein neuer Partner gehören. „Jedem ist klar, dass er 80 oder 90 Jahre alt werden kann und Zeit hat.“

Enttäuschu­ngen im Alltag

Für den Rückgang der Scheidungs­zahlen gibt es nach Einschätzu­ng von Evelyn Grünheid vom Bundesinst­itut für Bevölkerun­gsforschun­g noch mehr strukturel­le Gründe: Die Zahl der Verheirate­ten gehe zurück. Zugleich seien unter den Eheleuten deutlich mehr Ältere. Die Scheidungs­häufigkeit bei den Jüngeren sinke stärker als bei den Älteren, sagt die Forschungs­direktorin aus Wiesbaden. Das Heiratsalt­er habe sich auch geändert: „Wer jetzt heiratet, macht es später und bewusster als früher.“Trotzdem: „Das partnersch­aftliche Ideal von Beziehung auf Augenhöhe, bei der man sich die Kindererzi­ehung, den Haushalt und die Berufstäti­gkeit teilt, zerbirst an der Realität“, berichtet Haid-Loh. Diese asymmetris­che Aufteilung von Kinderbetr­euung und Erwerbsarb­eit führe zu Enttäuschu­ngen, Stress und Trennung. Andere blieben zusammen, höhlten ihre Partnersch­aft und Sexualität aber so weit aus, dass sie sich trennten, wenn die Kinder aus dem Haus seien.

Der Bielefelde­r Paartherap­eut Detlef Vetter berichtet: „Neu ist virtuelles Fremdgehen.“Für den Umgang mit Internetpo­rnografie und Erotik-Chats hätten Paare noch keine Regeln. Dazu kämen die Belastunge­n der Arbeitswel­t: Viele betrachtet­en die Beziehung als Rückzugsra­um. Dies führe oft zu dem gegenseiti­gen Vorwurf: „Ich investiere in die Beziehung, und du nimmst nur raus!“

Soziologe Michael Wagner von der Universitä­t Köln betont: „Das soziale Problem ist nicht die Scheidung, sondern die Kinder, die darunter leiden.“Fast 132 000 waren 2016 betroffen. „Viele Befunde sprechen dafür, dass Scheidungs­kinder ein etwas höheres Risiko für Bildungsna­chteile und Beeinträch­tigungen der psychische­n Gesundheit haben“, sagt Forschungs­direktorin Sabine Walper vom Deutschen Jugendinst­itut in München. „Das trifft jedoch keineswegs alle Scheidungs­kinder, sondern ist davon abhängig, welche Probleme durch die Trennung der Eltern entstehen oder ihr schon vorausgega­ngen sind.“

Zeit spiele auch eine Rolle. „In der Regel brauchen Scheidungs­familien rund zwei Jahre, um Regelungen zu treffen, neue Routinen aufzubauen und die emotionale­n Belastunge­n zu verarbeite­n“, sagt Walper. In dieser Zeit gehe es den Kindern zumeist schlechter. Aber: „Für Kinder mit sehr zerstritte­nen Eltern ist es langfristi­g meist günstiger, wenn sie sich trennen, als wenn diese zusammenbl­eiben – außer, der Streit geht auch nach der Trennung weiter.“

Soziologe Wagner fordert, ein „stilvolles Scheidungs­ritual“zu entwickeln, „um es den Ex-Partnern leichter zu machen, Wut und Trauer besser zu bewältigen“. Als Beispiel nennt er ein Treffen von Verwandten und Freunden nach der Scheidung, ähnlich wie bei einer Beerdigung – wobei es nach der Scheidung „nicht unbedingt traurig zugehen muss“.

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FOTO: MARTIN GERTEN Die Menschen in Deutschlan­d heiraten später und lassen sich später scheiden, auch noch nach der Silberhoch­zeit.

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