„Mit drei Minijobs ist gutes Leben nicht möglich“
DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach über die Arbeitsmarkt- und Rentenpläne der Parteien vor der Wahl
BERLIN - Die Union setze in ihrem Wahlprogramm auf einen „Arbeitsmarkt nach Wildwest-Manier“, kritisiert DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach (Foto: dpa) im Gespräch mit Rasmus Buchsteiner.
Die Union verspricht Vollbeschäftigung bis 2025. Da müssten die Gewerkschaften doch jubeln, oder?
Sich Vollbeschäftigung als Ziel vorzunehmen, ist sicherlich richtig. Aber es kann dabei nur um gute Arbeit gehen – zu anständigen Bedingungen und Löhnen. Wenn ich mir das Wahlprogramm der Union anschaue, bin ich sehr skeptisch. Dort steht: Sozial ist, was Arbeit schafft.
Was ist daran so verkehrt?
CDU und CSU setzen offensichtlich auf einen Arbeitsmarkt nach Wildwest-Manier: Mit drei Minijobs ist ein gutes Leben aber nicht möglich. Die Union will die Mindestlohn-Kontrollen abbauen und den Niedriglohnsektor ausbauen. Das ist nicht die Art von Vollbeschäftigung, die wir wollen. Wir brauchen mehr gut abgesicherte, sozialversicherungspflichtige Jobs.
Die Union will die 450-EuroGrenze bei den Minijobs abschaffen. Was spricht denn dagegen?
Minijobs weiter auszuweiten, wäre ein völlig falscher Schritt. Schon heute müssen sich fünf Millionen Menschen, meist Frauen, nur mit solchen Kleinstjobs durchschlagen. In keinem anderen Arbeitsverhältnis in Deutschland sind die Beschäftigten so erpressbar. Jeder dritte Minijobber kann das Recht auf bezahlten Urlaub nicht einlösen, die Hälfte bekommt keine Lohnfortzahlung bei Krankheit.
Die Parteien streiten auch über die Zukunft der Alterssicherung. Wird das Problem drohender Armut im Alter nicht überschätzt?
Wenn das Rentenniveau weiter so gesenkt wird, werden wir in Zukunft auf breiter Front sozialen Abstieg im Alter erleben. Jeder Fünfte arbeitet heute im Niedriglohnsektor. Dieser Weg führt direkt in Altersarmut. Wir müssen es deshalb in einem ersten Schritt schaffen, das Rentenniveau zu stabilisieren. Dafür brauchen wir jetzt den Kurswechsel in der Rentenpolitik. Die Union versucht, das Problem auszusitzen und in eine Kommission nach der Wahl zu vertagen. Das ist unverantwortlich.
In den Wahlprogrammen von Union und SPD findet sich heute die Forderung der Arbeitgeber nach einer längeren Lebensarbeitszeit nicht. Ist das Thema damit vom Tisch?
Nein, ich fürchte nicht, die CDU lehnt das ja leider nicht ausdrücklich ab. Dabei schaffen es schon heute viele nicht, bis zur Regelaltersgrenze gesund und im Job zu bleiben, sie müssen deshalb mit hohen Abschlägen in Rente. Das entwertet die Lebensleistung. Da birgt schon die Rente mit 67 hohe Absturzgefahr, jeder Schritt darüber hinaus würde das Problem noch verschärfen. Und auch für die jungen Leute wäre es ungerecht: Ihnen könnten wir dann nicht mehr guten Gewissens sagen, sie sollen in die Rentenkasse einzahlen, obwohl die Beiträge steigen und sie länger arbeiten müssen.