Kunstvolles Treten auf der Stelle beim Brexit
Die Rollen sind inzwischen klar verteilt. Der EU-Unterhändler Michel Barnier tritt auf als streng dreinblickender Mahner, der vor den schwerwiegenden, ja desaströsen Folgen des britischen EU-Austritts warnt. Londons BrexitMinister David Davis hingegen gibt das Sonnenscheinchen und beteuert lächelnd, am Ende werde alles gut.
Fünfmal hat der britische Minister in seiner Bilanz der viertägigen Brexit-Verhandlungen am Donnerstag das verheißungsvolle Wort „Fortschritt“benutzt. Die Gespräche sollen konstruktiv gewesen sein, Annäherungen habe es gegeben. Nach der zweiten Verhandlungsrunde zeigt sich Davis wieder einmal positiv gestimmt. Barnier scheint dagegen auf einer anderen Veranstaltung gewesen zu sein. Von „fundamentalen Differenzen“spricht er bei Fragen, zu denen die britische Regierung überhaupt schon eine Verhandlungsposition habe. Und von erforderlichen Klarstellungen bei den Punkten, an denen sich London noch nicht festlegt. Jede Art von Schönwetterrhetorik verkneift sich Barnier verbissen.
Messlatte liegt tief
Klar ist, dass man auch diese Medaille von zwei Seiten unterschiedlich betrachten kann. Es ist erst die zweite Verhandlungsrunde zum EU-Austritt der Briten und angesichts der Fülle hoch komplizierter Fragen waren echte Durchbrüche kaum zu erwarten. Davis aber legt die Latte niedrig und lobt die Fortschritte.
Am ehesten konsensfähig scheint noch das künftige Verhältnis zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland. Beide Seiten wollen eine harte Grenze vermeiden und pochen auf Erhaltung sowohl der gemeinsamen Reisezone auf der irischen Insel als auch des Karfreitagsabkommens, das den Bürgerkrieg in Nordirland beendet hatte. Aber wie das genau gehen soll, lassen beiden Seiten offen.
Noch schwieriger die Klärung der Bleiberechte für 3,2 Millionen EUBürger in Großbritannien und 1,2 Millionen Briten in der EU. Sie liegt zwar erklärtermaßen in beidseitigem Interesse. Doch haben sich EU und Großbritannien schon jetzt bei der Frage verhakt, ob der Europäische Gerichtshof auch künftig Klageinstanz sein soll. Brüssel beharrt darauf, London lehnt es vehement ab. Ein Ausweg ist nach dieser Runde genauso wenig in Sicht wie vorher.
Ähnlich ist es mit dem Streit über die Finanzforderungen der EU an Großbritannien für gemeinsam eingegangene Verpflichtungen, geschätzt auf bis zu 100 Milliarden Euro. Großbritannien erkennt an, dass es Verpflichtungen gebe, hält aber alle Details im Nebulösen. Diese Woche habe man dazu nichts Neues erfahren, heißt es aus Verhandlungskreisen. Barnier droht, ohne Klarstellung werde man nicht weiterkommen. Dieselbe Drohung hat er allerdings vorige Woche schon einmal in den Raum gestellt.
So wirkt der Austausch gut ein Jahr nach dem Votum der Briten für den Brexit inzwischen wie ein kunstfertiges Treten auf der Stelle. Die beiden Chefunterhändler verschanzen sich öffentlich hinter diplomatischen Floskeln. Ihre Experten – Großbritannien hat diese Woche insgesamt 99 Beamte in die Brüsseler Verhandlungsrunden abgeordnet – verbeißen sich schon in Details, wo noch politische Signale fehlen. (dpa)