Ringkampf der Insekten und konzertanter Glanz
Richard Wagner in ungewöhnlicher Bearbeitung und im rauschhaften Original in Bregenz
- Nicht nur in Bayreuth, auch in Bregenz war man an diesem Wochenende im Wagner-Fieber: „Der Ring in 90 Minuten“verlegte die Nibelungensaga am Samstag auf der Werkstattbühne ins Reich der Insekten, in einer Sonntagsmatinee gestaltete Philippe Jordan am Pult seiner Wiener Symphoniker mit drei herausragenden Sängern den ersten Akt der „Walküre“. War Ersteres zwar gut gemacht, aber eher kurios, so ließ sich das Publikum am Sonntag zu Jubelstürmen hinreißen.
Es kreucht und fleucht, Vogelspinne Wotan und Hirschkäfer Alberich kämpfen miteinander um den goldenen Ring, Siegmund und Sieglinde sind zwei Gottesanbeterinnen, die ihre langen Gliedmaßen malerisch vor einer kargen Landschaft verschränken.
Schwebfliegen, Ameisen, Raupen, Maden geben sich ein Stelldichein, die Rheintöchter haben sich in schwebende Quallen verwandelt: Das Theaterkollektiv Hotel Modern, das die Inszenierung von Rossinis „Mosè in Egitto“so intensiv mitgestaltet hatte, hat sich auch des Wagner’schen „Rings“angenommen und in die Welt der Krabbeltiere verlagert. Gemeinsam mit dem niederländischen Bläserensemble und seinem Oboisten Bart Schneemann haben sie 16 Stunden Ring-Tetralogie auf knapp 90 Minuten eingedampft und erzählen die vielschichtige Geschichte auf ihre Weise.
In mühevoller Kleinarbeit sind Vitrinen mit üppiger Vegetation, Wasser, Erde oder einem dichten Geflecht von Spinnfäden und verpuppten Insekten entstanden. Natürlich sind es Puppen, die an dünnen Metalldrähten geführt, gefilmt und auf die Leinwand hinter dem Orchester vergrößert werden, doch die Illusion von verwesenden Mäusen, gefräßigen Heuschrecken oder bedrohlichen Spinnen ist ziemlich perfekt. Auf leisen Sohlen bewegen sich die Puppenspieler, werden eins mit ihren Objekten. In der Musik sind die Leitmotive von Schwert, Walhall, Walkürenritt, Todverkündung oder Liebesthema ständig präsent. Die Geschichte bleibt auch unter Insekten eine von Macht und Unterdrückung, von Fressen und Gefressenwerden, von Kampf und Untergang. Zum Schluss versinkt der Ring in einer glibberigen Schicht von Laicheiern. Das Niederländische Bläserensemble, erweitert mit drei Schlagwerkern und so Wagner-untypischen Instrumenten wie E-Gitarre oder Saxofon, spielt eine zum Teil recht grobe Bearbeitung, was durch die recht direkte Akustik auf der Werkstattbühne noch verstärkt wird.
Wie großartig Wagners Musik im Original ist, machten die Wiener Symphoniker mit ihrem Chefdirigenten Philippe Jordan dann am Sonntag zum Erlebnis. In flüssigem Tempo eröffneten sie die Matinee mit dem „Siegfried-Idyll“, das Wagner seiner Gattin Cosima zum Geburtstag am 25. Dezember 1870 im Treppenhaus in Tribschen am Vierwaldstätter See präsentiert hatte: zärtlich in den Streichern, sprechend in den Bläsern sind darin Motive aus dem „Siegfried“eingeflossen.
Lyrik, Poesie und Sinnlichkeit
In der „Walküre“trumpfte das Orchester dann mit dem Aufgebot an Holz- und Blechbläsern, Wagnertuben, drei Harfen, zwei Pauken und natürlich dem großen Streicherapparat auf. Gerade der erste Akt der „Walküre“bietet ja mit die vielleicht eingängigste Musik Wagners.
Philippe Jordan, der heuer zum ersten Mal in Bayreuth die „Meistersinger“dirigiert, führt das Orchester von einem Höhenflug zum nächsten, bringt Dramatik, aber auch Passagen voll Lyrik, Poesie und Sinnlichkeit. Dank seiner reichen Opernerfahrung findet er die rechte Balance auch im Konzertsaal, er atmet mit den Sängern und trägt sie im Strudel der Emotionen.
Andreas Schager, der niederösterreichische Heldentenor, der derzeit in Bayreuth auch die Titelpartie im „Parsifal“singt, beeindruckt als Siegmund mit Strahlkraft, Farbenreichtum, großer Wortdeutlichkeit und starken emotionalen Steigerungen. Schade nur, dass er sich in dieser konzertanten Aufführung gestisch auf ein Mindestmaß beschränkt, während seine Sieglinde, die österreichische Sopranistin Martina Serafin, in Stimme wie Ausstrahlung und Bühnenpräsenz gleichermaßen begeistert. Auch sie hat die Partie der von ihrem Mann unterdrückten Sieglinde voll und ganz verinnerlicht, ist textdeutlich bis in hohe Lagen, vermittelt Angst vor Hunding und jugendlichen Liebesrausch in der Begegnung mit ihrem Zwillingsbruder Siegmund.
Kwangchul Youn, der erfahrene Wagnersänger aus Korea, gibt den Hunding in all seiner misstrauischen Schwärze und Gefährlichkeit, raunend und trotzdem wohlabgerundet in der Stimme. Nach der rauschhaften Steigerung im Duett von Siegmund und Sieglinde ergoss sich der Jubel des Publikums auf die Sänger, den Dirigenten und das in allen Instrumentalgruppen glänzende Orchester.