Alkoholsünder müssen früher Ader lassen
Polizisten brauchen dafür keinen Richterbeschluss mehr – Zustimmung und Skepsis
- Alkoholsünder müssen sich künftig Blut abnehmen lassen, ohne dass dazu ein Richter sein Einverständnis gegeben hat. Seit dem 24. August kann die Polizei solche Blutproben eigenständig anordnen. Justizministerium, Richter und weite Teile der Politik begrüßen die Änderungen. Die Polizeigewerkschaft GdP sieht Nachbesserungsbedarf, FDP und Linke lehnen das neue Gesetz gänzlich ab.
Die typische Situation sah bisher so aus: Die Polizei kontrolliert einen Autofahrer und mutmaßt, dass dieser betrunken ist. Es folgt das berühmte Pusten ins Atemkontrollgerät. Doch vor Gericht ist das Ergebnis dieses Tests bislang nicht als Beweis zugelassen. Nur ein Bluttest überführt den Alkoholsünder. Also musste ein Polizist bei einem Richter anrufen und um Erlaubnis für die Blutprobe bitten. Denn diese ist ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und die körperliche Unversehrtheit – so die juristischen Fachbegriffe.
Juristen und Praktiker rügten dies unisono. Denn diese Vorgaben führten zum einen dazu, dass es länger dauerte als nötig, bis ein Arzt das Blut abzapfen konnte. Bekanntlich sinkt der Blutalkoholspiegel im Laufe der Zeit, deswegen sollte eine Blutentnahme rasch erfolgen, um möglichst genaue Werte zu liefern. Außerdem wurden für solche Anfragen Bereitschaftsrichter aus dem Bett geklingelt. Ihr Einverständnis gaben sie in den allermeisten Fällen, ohne vor Ort zu sein und genaue Einblicke in den Fall zu haben. In der Praxis gab es sogar Bundesländer, in denen aus Personalmangel kein Bereitschaftsrichter erreichbar war und die Polizei die Blutproben de facto eigenständig angeordnet haben.
Deswegen hat der Bundestag die Änderungen beschlossen, die seit 24. August gelten. Nun entfällt der so genante Richtervorbehalt. Allerdings nur in den Fällen, in denen ein alkoholisierter Fahrer erwischt wird, ohne einen schweren Unfall verursacht zu haben. Diese „Massendelikte“dürfen jetzt ohne das Ok eines Richter abgehandelt werden. Wegen solcher Trunkenheitsfahrten wurden in Baden-Württemberg 2015 knapp 10 500 Menschen verurteilt.
Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU) begrüßt die Neuerungen uneingeschränkt. „Ein rechtsstaatlicher Zugewinn für den Bürger war mit dem Richtervorbehalt für Blutentnahmen nicht verbunden. Umgekehrt nahm er bei den ohnehin schon stark belasteten Gerichten viel Zeit in Anspruch. Zeit, die Richter und Staatsanwälte künftig zur Verfolgung und Aburteilung von Straftaten einsetzen können.“Im Bundestag hatte seine Partei die Änderungen ebenso eingefordert wie die SPD. Die Grünen mahnten, jede Anordnung einer Blutprobe sorgfältig zu dokumentieren – was aber bereits Pflicht ist.
Linke und FDP lehnen Novum ab
Ablehnung kam nur von der Linken. Deren Bundestagsabgeordneter Jörn Wunderlich sagte in der Plenardebatte: „Nur durch einen Richtervorbehalt kann die strukturelle Ungleichheit im Verfahren ausgeglichen werden.“Sprich: Der Staat hat per se mehr Macht als seine Bürger. Eine unabhängige Justiz soll daher den Einzelnen vor möglicher Willkür schützen. Außerdem seien keine Untersuchungen bekannt, die bedeutsame Defizite in der Erreichbarkeit von Richtern festgestellt und damit die Beweissicherung gefährdet hätten, argumentierte Wunderlich.
Die FDP sitzt derzeit bekanntlich nicht im Bundestag. Ihr rechtspolitischer Sprecher im Stuttgarter Landtag aber hält wenig von der Abschaffung des Richtervorbehalts. „Ich habe erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“, so Nico Weinmann. Das sei nicht der richtige Weg, um die Richterschaft zu entlasten. Bereitschaftsrichter seien ohnehin im Dienst, um etwa Wohnungsdurchsuchungen zu genehmigen. Es gehöre zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, solche Eingriffe in die Rechte des Einzelnen von einer unabhängigen Instanz überprüfen zu lassen.
Die Polizeigewerkschaft GdP dagegen fordert sogar noch mehr. „Die Polizei entlastet diese Änderung nicht, nur die Richter“, sagt HansJürgen Kirstein, GdP-Landeschef in Baden-Württemberg. Er wünscht sich, dass Bluttests gar nicht mehr notwendig sind. Aus Sicht der GdP liefern Atemtestgeräte bereits heute so zuverlässige Ergebnisse, dass man auf Blutproben verzichten könne. Entsprechende Vorstöße aber scheiterten bislang stets.
Umrechnung nicht möglich
Das Justizministerium in Stuttgart hält das ebenfalls für wenig sinnvoll. „Eine schlichte Umrechnung von Blutalkoholwerten in korrespondierende Atemalkoholkonzentrationen (AAK) ist nach naturwissenschaftlichem Kenntnisstand nicht möglich und wird von den Gerichten auch nicht vorgenommen“, heißt es dort. Die Geräte lieferten eben keine exakten Werte, die seien aber für eine rechtskräftige Verurteilung notwendig.