In der Pflege fehlen Zehntausende
Der junge Pfleger war wütend: Die Würde der Menschen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen werde „tausendfach verletzt“, schleuderte er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag in der ARD-Wahlarena entgegen. Die Pfleger seien überlastet und für zu viele Patienten zuständig. Merkel blieb in ihrer Antwort vage: Es gebe großen Nachholbedarf beim Personal; der Beruf müsse attraktiver und besser bezahlt werden, sagte sie und verwies darauf, dass Personaluntergrenzen für Altenheime und Krankenhäuser ausgehandelt würden.
In der Pflege, insbesondere bei der deutlich schlechter bezahlten Altenpflege, droht ein gravierender Fachkräftemangel. Zugleich steigt die Zahl der Pflegebedürftigen weiter: 2015 waren knapp 2,9 Millionen Menschen pflegebedürftig; 2060 sollen es 4,7 Millionen sein. Die Krankenhäuser verzeichnen schon jetzt mehr alte Patienten mit mehreren Krankheiten.
40 000 Stellen bleiben unbesetzt
In den vergangenen Jahren erwies sich die Pflege als Jobmotor: Die Zahl an Altenpflegern stieg bis 2015 auf mehr als eine Million. Doch schon heute fehlen dort 30 000 Pflegekräfte. Die Zahl der Krankenhausmitarbeiter im Pflegedienst ist von 393 186 im Jahr 2005 auf 426 838 im Jahr 2015 ebenfalls deutlich gestiegen. Auch dort gibt es bereits 10 000 Stellen, die nicht besetzt werden können.
„Es dauert durchschnittlich über ein halbes Jahr, bis freigewordene Stellen neu besetzt werden können“, sagt Rainer Brüderle, derzeit Präsident des Arbeitgeberverbands im Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). Allerdings: Vor allem in der Altenpflege werden immer mehr Teilzeitkräfte beschäftigt. Vollzeitjobs dagegen gingen zurück.
Arbeitgeber und Interessenverbände der Pflegenden klagen über niedrige Bezahlung, schwierige Arbeitsbedingungen, gesundheitliche Beeinträchtigungen und ein schlechtes Image ihres Berufs. Alle Reformen nutzten nichts, wenn es kein Personal gebe, argumentiert der Präsident des Deutschen Pflegerates, Andreas Westerfellhaus. „Die Pflegenden stehen vor dem Kollaps.“
Nach Darstellung von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat die große Koalition die Weichen gegen einen Personalnotstand in der Pflege gestellt. „Wir haben die Zahlung von Tariflöhnen in der Pflege gestärkt, unterstützen Pflegeeinrichtungen beim Bürokratieabbau und haben das Schulgeld in der Altenpflegeausbildung abgeschafft“, sagte der Minister am Dienstag dem Bonner „General-Anzeiger“.
Auch bei den Personaluntergrenzen tut sich etwas: Durch die Pflegereform zum 1. Januar 2017 mussten die Personalschlüssel in Pflegeheimen überprüft werden; laut Bundesgesundheitsministerium vom Dienstag seien dadurch im Schnitt zwei Vollzeitstellen pro Pflegeeinrichtung geschaffen worden.
Krankenkassen und Träger der Krankenhäuser müssen zudem für Bereiche wie Intensivstationen oder den Nachtdienst künftig verbindliche Personaluntergrenzen festlegen. Sollte die Selbstverwaltung sich nicht einigen, wird das Gesundheitsministerium bis zum 31. Dezember 2018 diese festlegen. (KNA)