Prozessauftakt gegen Autobahnräuber
Fünf Männer stehen wegen eines Millionenüberfalls auf der A 8 vor Gericht – Ein weiterer ist flüchtig, möglicherweise mit dem Löwenanteil der Beute
(dpa) - Rund acht Monate nach dem spektakulären, fingierten Überfall auf einen Werttransporter beim Parkplatz Drackensteiner Hang an der A 8, bei dem Uhren und Schmuck im Wert von mindestens drei Millionen Euro verschwanden, ist am Montag vor dem Landgericht Ulm der Prozess eröffnet worden. Die Staatsanwaltschaft wirft den fünf Beschuldigten Diebstahl, Waffendelikte und das Vortäuschen einer Straftat vor. Vom sechsten Beteiligten, dem Fahrer, fehlt bislang jede Spur.
(lby) - Beim Skat, im SaunaPuff, im Irish Pub und manchmal auch vor einer Bäckerei. Die Orte, an denen ein Millionen-Coup an der Autobahn 8 besprochen wurde und Gestalt annahm, waren so profan wie der Plan selbst. Und doch war er in Teilen anscheinend weit gerissener, als die fünf Männer ahnten, die sich seit Montag vor dem Landgericht Ulm dafür verantworten müssen. Was in diesem Verfahren fehlt, ist aber der sechste, wohl entscheidende Mittäter – und der größte Teil der Beute. Ein Gutachter schätzt den Wert auf insgesamt acht Millionen Euro.
Es gibt Unklarheiten und Ungereimtheiten in diesem Prozess. Doch der eigentliche Tatablauf erscheint durch Geständnisse klar: Am 15. Januar, ein Sonntag, sind zwei Angestellte einer Werttransportfirma – der 30 Jahre alte P. und sein 32-jähriger Kollege R. – mit einem gepanzerten Transporter auf der A 8 unterwegs von München nach Stuttgart. An Bord: blaue Säcke mit 728 Luxusuhren sowie edlen Schmuckstücken – drei Ohrringen und einem Armreif sowie größeren Mengen an Bargeld.
25 Fahrtminuten vor dem Parkplatz Drackensteiner Hang am malerischen Albaufstieg schickt Fahrer P. wie verabredet eine SMS: „Hallo Rosi, wie geht es Dir?“Antwort: „Mir geht es gut, ich bin daheim, aber wir müssen leise sein, viele Nachbarn da.“Alles ist also bereit. Der Werttransporter rollt zur im Dunkeln liegenden Wendeschleife des Parkplatzes. Dort warten ein Auto und ein Transporter. Der Mann im Transporter – er wird im Prozess „der sechste Täter“oder „der Unbekannte“genannt – gibt sich nicht zu erkennen. Von ihm soll zumindest ein gewichtiger Teil des Plans stammen.
Rasch werden die blauen Säcke umgeladen, die beiden Wertgutfahrer mit Kabelbindern gefesselt. Eine Pistole soll im Spiel gewesen sein. Wozu? Erschließt sich nicht. „Denn das war doch sowieso alles abgesprochen“, sagt einer der Angeklagten. Dann werden die Fahrer im Panzerwagen eingeschlossen, später brennen sie die Kabelbinder mit einem Feuerzeug durch, befreien sich und „alarmieren“die Polizei. Der erzählen sie ihre „Räuberpistole“von einem Überfall mit vorgehaltener Waffe. Bald schon fliegt die Sache aber auf. In der Berliner Unterwelt tauchen einige der Luxusuhren auf. Eine „Vertrauensperson“gibt der Polizei einen Tipp. Die Ermittlungen nehmen Fahrt auf. Im März sitzen fünf Männer aus Köln, Berlin und dem Raum Esslingen am Neckar in UHaft: die beiden Wertgutfahrer, zwei Männer, die im Hintergrund wirkten – der 38-jährige B. und der 39-jährige G. sowie der 31-jährige S., der am Drackensteiner Hang einen kleineren Teil der Beute in seinen Pkw geladen haben soll.
Offene Fragen
Alle fünf legen Geständnisse ab. Doch nicht bei allen sind die Geständnisse nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft vollständig. Zu den Merkwürdigkeiten gehört: Die Beute ist den Aussagen zufolge vorsortiert worden. Säcke mit den weniger wertvollen Inhalten nimmt der Pkw mit, den Löwenanteil der Transporter. Mit dem fährt der große „Unbekannte“davon. Hat er alle anderen geleimt? Oder schweigt mancher von ihnen in der Hoffnung, nach seiner Haftzeit reich zu sein?
Die direkt beteiligten Männer erhalten zunächst über Umwege Geld. Mehrere Zehntausend Euro jeweils, wohl aus dem Bargeld in den Säcken, wie sie laut eigenen Aussagen vermuten. Aber die Millionensummen, auf die sie wohl aus dem Erlös der Luxusuhren hofften und dank derer man „am Montag danach gar nicht mehr zur Arbeit gehen müsste“, wie es Richter Gerd Gugenhan ausdrückt, die fließen nicht.
163 Luxusuhren kann die Polizei bei Hausdurchsuchungen sicherstellen, auch Bargeld und die ominöse Pistole. 565 Luxusuhren sind weg, vorerst. „Dazu wird weiter ermittelt“, heißt es bei der Staatsanwaltschaft. Der Richter fragt die Angeklagten beharrlich nach dem „sechsten Mann“. „Keiner hat eine Ahnung“, konstatiert er. „Finden sie das nicht komisch?“Keine Antwort.
Sechs weitere Verhandlungstage sind bis zur geplanten Urteilsverkündung am 13. November angesetzt. Neun Zeugen sollen vernommen werden, auch ein psychiatrischer Sachverständiger.
Und ein Uhrensachverständiger. Er soll helfen, die Ungereimtheiten dieses Verfahrens aufzuklären: Die Diskrepanz zwischen dem von der Werttransportfirma genannten Schaden von drei Millionen und den vom ihm ermittelten Beutewert von acht Millionen Euro.