Ex-SPD-Politiker Förster geständig
Eine ehemalige bayerische SPD-Größe muss sich wegen sexuellen Missbrauchs und Kinderpornografie verantworten
(dpa) - Der wegen sexuellen Missbrauchs von mehreren Frauen angeklagte frühere SPDLandtagsabgeordnete Linus Förster hat vor Gericht ein weitgehendes Geständnis abgelegt. Zu Beginn des Prozesses vor dem Landgericht Augsburg trug der Verteidiger des 52-Jährigen am Montag eine Erklärung vor, mit der die meisten angeklagten Fälle eingeräumt werden. Außerdem ist der Ex-Politiker wegen des Besitzes von mehr als 1300 Kinderpornos angeklagt.
- Ein schmuckloser Gerichtssaal im Augsburger Landgericht am Montagmorgen. Die Sitzung der Kammer dauert bereits an. Würden nun die vielen Zuhörer im vollbesetzten Besucherbereich nur kurzzeitig die Augen schließen, kämen sie sich wohl vor wie in einer Therapiestunde für einen spätpubertierenden Jung-Erwachsenen mit sexuellen Problemen. Der Angeklagte erzählt mit voller Überzeugung, er sei beim Geschlechtsverkehr „der kuschelige Typ“. Es folgen Aussagen über „nacktes Herumspringen“und „erregende Blicke ins weibliche Dekolleté“. Weitere Worten legen die Folgerung nahe, dass ihn Frauen umtreiben, die sich sexuell unausgelastet fühlen. Vor dem hohen Gericht fällt das Wort „untervögelt“. Worauf das Erstaunen der Zuhörer deutlich hörbar wird.
Nur ist das, um was es geht, alles andere als lustig. Der sexuelle Missbrauch dreier Frauen steht als Beschuldigung im Raum, ebenso das versteckte Filmen mehrerer Damen beim geschlechtlichen Tun oder beim Nacktposieren. Hinzu kommt noch der Besitz von über 1300 kinderpornografischer Bilder und Videos. Und der Angeklagte ist auch nicht irgendein dahergelaufener Bursche. Wegen seiner 52 Lebensjahre kann er auch nicht mehr als jung bezeichnet werden. In Augsburg kennt man ihn wie einen bunten Hund. Linus Förster lautet sein Name. Vergangenes Jahr um diese Zeit war er noch Teil der sozialdemokratischen Führungsspitze in Bayern, saß im Landtag und amtierte als Chef der SPD im Bezirk Schwaben. In Augsburg war Förster im Vorstand des Stadtjugendrings.
Aufnahmen im Bordell
Vielleicht genösse Förster diese Ehren immer noch, wenn ihm im Herbst 2016 nicht ein entscheidender Fehler unterlaufen wäre. In seiner Augsburger Heimat wollte er unbedingt ins Bordell. „50 Euro“sollte das Geschäft mit einer Prostituierten kosten. Förster kann vor Gericht den Preis ohne Nachdenken nennen. Er wollte aber nicht nur Sex haben, sondern auch heimlich ein Video über den Akt aufnehmen. Aber die kleine Kamera wurde von der Liebesdienerin entdeckt. Zusammen mit einer Kollegin konnte sie nach einem heftigen Streit mit Förster den Chip des Aufnahmegeräts sichern.
Die Prostituierte erstattete Anzeige, der Chip inklusive Aufnahmen vom nackten Politiker landeten bei der Polizei. Dort erkannte ihn eine Beamtin. Der Fall kam ins Rollen. Weitere Vorwürfe tauchten auf. Weshalb Förster nun in der Pose des armen Sünders auf dem Stuhl des Angeklagten hockt. Verstockt ist er nicht. Im Gegenteil: Förster will offenbar mit sich und der Welt ins Reine kommen. Sein Verteidiger Walter Rubach betont gleich zu Beginn der Sitzung, dass sein Mandant die Vorwürfe „im Wesentlichen“bestätige.
Der dunkel gekleidete Förster hört der Erklärung regungslos zu. Er kommt aus der Untersuchungshaft und wirkt verlebt: Tränensäcke unter den Augen, Bauchansatz, ungelenke Bewegung, zum Anfang der Sitzung auch noch eine brüchige Stimme, die langsam an Kraft gewinnt. Der Mann ist nur noch er selbst. Alle Parteiposten hat er nach dem Bekanntwerden der Anschuldigungen niedergelegt. Es folgte der Austritt aus der SPD nach 32 Jahren. Die allermeisten seiner ehemaligen Parteifreunde wollen nichts mehr von ihm wissen. Die Vorwürfe sind ihnen nicht nur zu schlüpfrig, sondern wohl auch zu unheimlich.
Die Staatsanwaltschaft berichtet vom ersten Fall. Das Opfer war eine Journalistin. Nach Überzeugung der Anklagevertreter hat er sich zweimal an ihr geschlechtlich vergangen, als sie nach einer Medikamenteneinnahme eingeschlafen war. Auch hiervon machte Förster Filmaufnahmen. Bei einer weiteren angetrunkenen Frau soll Gleiches passiert sein.
Ruf des Frauenhelden
Bei einer dritten Dame hat der Angeklagte nach den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft ebenso versucht, deren Alkoholkonsum auszunutzen. Nach einer Lagerfeuerparty inklusive Nachtbadens sei sie im Freien zum Schlafen neben ihm gelegen. Worauf Förster versucht habe, ihr die Hose runterzuziehen. Mehr sei nicht passiert, Förster erklärt, er habe dabei lediglich einen „mentalen Orgasmus“verspürt. Die Staatsanwaltschaft will den Worten des promovierten Politikwissenschaftlers nicht recht glauben. Wie ein Reporter der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“unter der Hand erklärt, hing Förster schon immer der Ruf eines Frauenhelden nach. Er habe einen „unglaublichen Verschleiß an willigen Damen gehabt“, heißt es im Zuhörerbereich. „Der musste doch gar nicht auf kriminelle Weise vorgehen, wenn es ihm um Sex ging“, wundert sich während einer Verhandlungspause ein Rentner, der den Angeklagten angeblich seit Langem kennt. Von einem Partylöwen ist die Rede, von einem Musiker, der für eine stadtbekannte Band sang – Soul zum Beispiel. Im Internet sind Aufnahmen zu finden, in denen er mit erstaunlicher Stimme zu hören ist. Auch auf diese Art und Weise sei Förster bei den Frauen bestens angekommen, berichtet der Rentner.
Der Vorsitzende Richter Lenart Hoesch kann letztlich nicht umhin, den Angeklagten nach seinen geschlechtlichen Verhältnissen zu befragen. Zwei Welten treffen aufeinander: der gediegen sowie großbürgerlich wirkende Jurist – und der angeklagte Partymensch. „Ich habe ein normal ausgiebiges Sexualleben“, sagt Förster. Seine „Zielgruppe“seien „erwachsene Frauen“. Dies betont der Angeklagte gleich nochmals, weil Richter Hoesch wissen will, wie es zu der Sammlung von Kinderpornografie kommen konnte. „Ich bin ganz sicher nicht pädophil“, meint Förster. Er könne sich selber nicht erklären, weshalb diese Sammlung existiere: „Ich schäme mich aber zutiefst dafür.“Er habe sich aber nicht einmal die Bilder angeschaut.
Richter Hoesch runzelt die Stirn, schaut ungläubig. Die meisten im Saal tun dasselbe. Förster versucht indes, sein Seelenleben zu enthüllen. Demnach ging es ihm um „Grenzüberschreitungen“, um den Kick, etwas Verbotenes zu tun. Weil er gleichzeitig alles Mögliche zwanghaft archiviere, sei dies auch mit der Kinderpornografie geschehen – daheim auf dem Computer sowie auf seinem Rechner im örtlichen Büro des SPD-Unterbezirks. Also dort, wo das als extrem pervers beschriebene Material später von der Polizei gefunden wurde.
Bekannt ist, dass sich Förster bereits vor Jahren in psychologische Behandlung begeben hat. „Wegen narzisstischen Persönlichkeitsstörungen“, berichtet er. Gemeint ist damit eine überzogene Selbstverliebtheit. Förster berichtet auch von Depressionen. Er habe sich zeitweise von seinem Umfeld nicht mehr geschätzt gefühlt. Sex sei für ihn dann ein positiver Ausgleich gewesen. 2012 begab er sich in eine stationäre Behandlung nach Prien am Chiemsee. Dort traf Förster nach seinen Worten auf eine fidele Clique, zu der auch ein späteres Opfer gehörte. Statt Therapie war offenbar Party angesagt. „Wir schmuggelten Wein in Traubensaftflaschen in die Klinik“, erzählt Förster. Worauf aus dem Zuhörerbereich folgenden Kommentar folgt: „Wie Buben im Schullandheim.“
Klinikaufenthalt scheitert
Es bleibt unklar, ob der Angeklagte den Zwischenruf gehört hat. Jedenfalls scheiterte der Klinikaufenthalt an Alkohol und Sex. Spätere ambulante Therapien gingen offensichtlich ins Leere. Förster möchte dies aber nicht so verstanden wissen. Er ist jetzt in Fahrt. Als diene ihm Richter Hoesch als neuer Therapeut, sucht Förster immer weiter nach tiefenpsychologischen Begründungen für sein Handeln. So habe bei ihm das Filmen des Beischlafs womöglich wie „ein Trophäensammeln“gewirkt. Immer wieder betont der Angeklagte, früher seien ihm die Folgen seines Handelns gar nicht klar geworden. Jetzt empfinde er „tiefe Scham“: „Ich bitte alle betroffenen Frauen zutiefst um Entschuldigung.“
Förster hat bereits zusammen mit seinem Anwalt einen Täter-OpferAusgleich in die Wege geleitet. Die durch eine Nebenklage vertretenen Frauen erhalten eine finanzielle Entschädigung. Üblicherweise wird dies von Gerichten als Zeichen der Reue gewertet und gilt als strafmildernd. Zugute kommen dürfte Förster zudem sein weitgehendes Geständnis. Die Staatsanwaltschaft hat bereits durchblicken lassen, dass ihr Strafantrag deshalb bei knapp unter vier Jahren Gefängnis liegen könnte. Ansonsten wären wohl sechs Jahre beantragt worden.
Vier Sitzungen sind noch anberaumt. Auch die Opfer werden gehört. Mit dem Urteil wird Ende September gerechnet. Als gesichert gilt, dass sich Förster der nächsten Therapie unterziehen muss. Künftig braucht der Angeklagte dies auch nicht mehr heimlich tun: „Als Politiker“, sagt er, „musste ich immer vorsichtig sein, dass dies niemand entdeckt.“Bei seinen psychologischen Problemen wäre ansonsten der Ruf ruiniert gewesen. Diese Sorge ist er definitiv los.