„Ich halte Stefan Sommers Weg für richtig“
Automobilexperte Willi Diez über den Richtungsstreit beim Zulieferer ZF und den grundlegenden Wandel der Branche
- Vorstand und Eigentümer des Autozulieferers ZF haben sich wegen der strategischen Ausrichtung überworfen. Es geht darum, wie schnell und mit welchen Risiken das Unternehmen, das viele Jahre vor allem für seine Getriebetechnik bekannt war, zu einem global agierenden Konzern geformt werden soll. Benjamin Wagener und Andreas Knoch haben Willi Diez, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, gefragt, wie ZF die Veränderungen angehen muss.
Herr Diez, wie bewerten Sie die Ernennung von Franz-Josef Paefgen als Aufsichtsratschef von ZF?
Mit der Entscheidung, einen ausgewiesenen Autoexperten zum Aufsichtsratschef zu berufen, hat ZF ein Signal für die Zukunft gesetzt. ZFChef Stefan Sommer bekommt mit Herrn Paefgen einen kompetenten Gesprächspartner.
Herr Paefgen ist seit mehr als sechs Jahren nicht mehr operativ in der Branche tätig. Seitdem hat sich die Branche extrem gewandelt …
Ich glaube, dass er nach wie vor in den Themen drin ist. Außerdem ist es nicht die Aufgabe eines Aufsichtsratschefs, in das operative Geschäft einzugreifen. Er hat vor allem eine Moderatorenrolle auszufüllen – gerade bei einem Stiftungsunternehmen wie ZF. Da ist es von Vorteil, wenn er von den Themen inhaltlich etwas versteht. Es erleichtert die Kommunikation in beide Richtungen – sowohl aus dem Unternehmen heraus in Richtung Stadt, der er verpflichtet ist, als auch umgekehrt.
Kernprodukte, mit denen ZF Jahrzehntelang erfolgreich war, sind Getriebe und Fahrwerktechnik. Wie zukunftsträchtig ist dieses Geschäft?
Ich habe da meine Zweifel. Mit der Digitalisierung schiebt sich in die seit Jahrzehnten gewachsene Geschäftsbeziehung zwischen den Automobilherstellern auf der einen und den Zulieferern auf der anderen Seite ein neuer Wettbewerber. Einer der die Macht über die digitalen Daten hat. Den Kampf um die Datenhoheit muss ZF führen. Sonst läuft das Unternehmen Gefahr, die direkte Geschäftsbeziehung zu den Automobilherstellern zu verlieren und zu einem austauschbaren Hardwarelieferanten degradiert zu werden. Das ist mit Risiken verbunden, doch die gute Branchenkonjunktur gibt Rückenwind. Den muss ZF nutzen. Die größten strategischen Fehler werden in Unternehmen dann gemacht, wenn es ihnen gut geht.
In welche Richtung muss sich ein Automobilzulieferer wie ZF entwickeln?
Automobilzulieferer brauchen heute Systemkompetenz, und müssen die digitale Infrastruktur eines Fahrzeugs verstehen. Nehmen Sie als Beispiel die Möglichkeit, Getriebe über GPS zu steuern. Da reicht die reine Hardwarekompetenz nicht mehr aus. Vor allem aber muss man schnell sein. Für ein Stiftungsunternehmen wie ZF, dessen Eigner keine großen Risiken eingehen möchten, ist das eine gewaltige Herausforderung. Andererseits stellt sich die Frage, wo ZF in zehn Jahren steht, wenn nicht heute die entsprechenden Weichen gestellt werden. Ich halte den von Stefan Sommer eingeschlagenen Weg für richtig.
Ist die Elektromobilität der Antrieb der Zukunft oder ein überschätzter Hype?
Es gibt Alternativen wie die Brennstoffzelle, auf die beispielsweise Toyota baut, oder synthetische Kraftstoffe. Allerdings spricht im Moment vieles für die Elektromobilität. China als größter Automobilmarkt setzt ganz klar auf diese Antriebstechnik, und die Hersteller investieren enormen Summen in das Thema. Hinzu kommt, dass Elektromobilität zurzeit technisch am ein- fachsten umzusetzen ist. Ob das in 20 Jahren noch genauso ist, ist schwer zu sagen. Vielleicht kommt dann das Zeitalter der Brennstoffzelle oder das synthetischer Kraftstoffe.
Muss ZF vor diesem Hintergrund auch höhere finanzielle Risiken eingehen oder über einen Börsengang nachdenken, um die notwendigen Zukunftsinvestitionen stemmen zu können?
Der Kapitalbedarf in den Unternehmen wird in den nächsten Jahren extrem zunehmen. Zugleich werden die Amortisationszeiträume von Investitionen tendenziell kürzer. Die deutschen Unternehmen müssen aufpassen, für Geldgeber attraktiv zu bleiben. Zurzeit fließen enorme Summen in das Thema autonomes Fahren. Doch die Profiteure sind nicht etwa die deutschen Automobilhersteller und -zulieferer, sondern vor allem die US-amerikanischen Internetgiganten.
In welchen Bereichen hat ZF noch Lücken, die das Unternehmen schließen muss?
ZF muss vor allem seine digitale Kompetenz mit Blick auf das Gesamtfahrzeug und auf einzelne Komponenten stärken.
Hätten diese Lücken durch den Kauf von Haldex und Wabco geschlossen werden können?
Beide Unternehmen passen zu ZF. Wabco wäre mit Blick auf das Nutzfahrzeuggeschäft sicher ein Gewinn gewesen. ZF hätte sich so zu einem Systemanbieter in diesem Segment aufschwingen können.
Wie riskant wäre ein solcher Zukauf von geschätzt sechs Milliarden Euro bei einer Eigenkapitalquote von rund 20 Prozent?
Das hängt von der Finanzierungsstruktur und den Übernahmemodalitäten ab. Das können Banker besser beurteilen.
Können im Zuge der sich weiter globalisierenden Autobranche große Produktionswerke langfristig in Friedrichshafen gehalten werden?
Im Bereich der Produktion wird der Standort Deutschland an Bedeutung verlieren. Von Deutschland aus erreichen wir heute vor allem die europäischen Exportmärkte, und die sind weitestgehend gesättigt. Der klassische Export in die überseeischen, wachstumsstarken Märkte wird dagegen immer schwieriger. In Ländern wie China und Lateinamerika ist er gar nicht möglich. Dort müssen sie eine lokale Produktion aufbauen, um Autos zu verkaufen. Das führt dazu, dass wir in der Produktion in Deutschland Arbeitsplätze verlieren werden.
Passen die Stiftungsstruktur von ZF auf der einen und der global agierende Konzern auf der anderen Seite noch zusammen?
Mit Bosch und Mahle gibt es im Südwesten zwei weitere Automobilzulieferer, die eine Stiftungsstruktur haben. Allerdings werden diese Unternehmen stärker von der Familie heraus kontrolliert, die näher an den Entscheidungsprozessen und den operativen Themen dran ist. Hinter ZF steht als Eigner die Stadt Friedrichshafen – doch die Logik eines Industriekonzerns ist eine andere als die einer Stadt. Das führt zwangsläufig zu einem Spannungsverhältnis. Kurzfristig mag sich dieses Spannungsverhältnis mit einer Personalie glätten lassen. Perspektivisch muss man in Friedrichshafen aber die Frage beantworten, ob diese Struktur noch die richtige ist.
Angesichts des Führungsstreits: Setzt ZF seine Attraktivität für potenzielle Sommer-Nachfolger aufs Spiel?
Die Personaldiskussion der vergangenen Wochen ist für ein leises Unternehmen wie es ZF immer war sicher ungewöhnlich. Aber bei einem so raschen Wandel ist es ganz natürlich und nachvollziehbar, dass es zu solchen Diskussionen kommt. Manager, die sich vor solchen Auseinandersetzungen scheuen, wären sowieso falsch für einen globalen Player.