Münchner Machtdemonstration
Beim 75:89 gegen den bayerischen Tabellenführer bekommen die Ulmer ihre Grenzen aufgezeigt
- Statistiken sagen manchmal gar nichts aus – selbst im Basketball, einer Sportart, in der alles gezählt wird, vermutlich auch, wie sich die Fußgröße auf die Frequenz der Fehlpässe auswirkt. Nach dem 75:89 (31:48) von Ratiopharm Ulm am Samstag gegen Tabellenführer Bayern München etwa wurde konstatiert, dass Ulm drei der vier Spielviertel gewonnen hatte – bloß: Eine Bedeutung hatte diese Erhebung überhaupt nicht, und Ulms Trainer Thorsten Leibenath stellte die Zahlen in der Pressekonferenz sofort richtig: „Die Bayern waren heute über vier Viertel die bessere Mannschaft.“
Tatsächlich war das Derby nach einer Machtdemonstration der Münchner bereits nach zehn Minuten entschieden gewesen. Mit 29:10 führten die Gäste, in allen Kategorien waren sie überlegen gewesen: Beweglichkeit, Aggressivität, Harmonie, taktische und spielerische Finesse, Athletik. Mit 12:4 gewannen sie die Rebounds, 8:1 Assists und 4:1 Steals standen zu Buche, das Verhältnis der Ballverluste betrug 1:5. Die Bayern ließen Ball und Gegner laufen, die Ulmer, denen das Fehlen von Center Luke Harangody spürbar wehtat, mussten sich wie Statisten vorkommen. Leibenath gab sich zumindest eine Teilschuld dafür: „Vieles im ersten Viertel geht auch auf meine Kappe. Wir sind vielleicht etwas zu naiv an die Sache rangegangen und haben viel mit Doppeln verteidigt, was München sehr gut ausgenutzt hat. Wir waren auch zu ängstlich anfangs.“Und Angst, das weiß man, führt im Leben und im Sport nicht arg viel weiter.
Überragender Cunningham
Wobei: Auch andere Mannschaften dürften langsam Muffe vor diesen Münchnern bekommen, die nicht nur ihren zwölften Bundesligasieg in Serie feierten, sondern in Jared Cunningham auch einen Ausnahmespieler in ihren Reihen haben. 22 Punkte glückten dem 26-jährigen Kalifornier, der sich vier Jahre lang eher erfolglos als NBA-Reservist verdingte und nach einer Saison in China von den Münchnern entdeckt wurde. Der unfassbar schnelle Guard stand stellvertretend für die Dominanz der Gäste, und als er in der 26. Minute einen Fehlpass von Trey Lewis mit einem Rückwärtsdunk bestrafte, war das auch eine Demütigung (die von einem Hauch von Arroganz zeugte). Als „überragendes Talent, das allerdings noch Konstanz lernen muss“, pries ihn Coach Aleksandar Djordjevic, in Personalunion Trainer von Vizeeuropameister Serbien, der die Bayern seit Saisonbeginn auf ein neues Level geführt hat – auch durch seine Kontakte. Landsmann Milan Macvan etwa, den Djordjevic aus Mailand anlockte, konnten die Ulmer kaum stoppen, Der 2,06-Meter-Forward sei ein gutes Beispiel dafür, worin die Münchner seinem Team voraus seien, sagte Leibenath – „er ist eben zehn Zentimeter größer als Da’Sean Butler“. In „Physis, Größe und Skills“, seien die Bayern überlegen, also in allen Belangen, räumte Leibenath ein, dennoch wirkte sein Kollege erstaunlich erleichtert nach dem Match. Djordjevic nannte den Sieg den „größten der Saison“, denn: „Wir wissen, wenn man in Ulm kurz nicht aufpasst, kann man überrollt werden. Dieser Ort kann wild werden.“
Wie wild die Münchner werden können, wenn erst noch die verletzten Vladimir Lucic und Spielmacher Stevan Jovic zurückkehren, mag man sich gar nicht ausmalen – wild genug jedenfalls, um Meister Bamberg im Saisonfinale vom Thron zu stürzen. München, das heute im Eurocup in Turin antritt, hat inzwischen einen Kader, der so tief ist wie Tegern-, Ammerund Chiemsee zusammen, auch wenn Routinier Anton Gavel vor jeder Euphorie warnt: „Wir haben jetzt zwei schwere Auswärtsspiele vor uns und reden nicht vom Triple. In den letzten drei Jahren haben wir gar nichts gewonnen.“
Den Ulmern muss man wiederum zugute halten, dass sie sich nicht demontieren ließen, sondern bis zum Spielende wehrten. „Auch aufgrund der Fans“habe man sich nicht aufgegeben, betonte Leibenath. Tatsächlich schienen die 6200 Spielstand, Frust und fehlende Spannung zu ignorieren und trieben ihr Team trotzig nach vorne, was Leibenath wiederum trotzig optimistisch stimmte. „Wir haben Charakter gezeigt, wir können dahin kommen, in eigener Halle wieder eine absolute Macht zu sein.“
Hoffen auf das Final Four
Dass diese Tugend in der Meisterschaft reicht, um die Favoriten zu gefährden, ist dennoch äußerst unwahrscheinlich. Die Ulmer, bei denen in Lewis (22 Zähler), Butler (13) und Talent David Krämer (acht Punkte in sechs Minuten) nur drei Spieler überzeugten und die durch die erste Niederlage nach acht Siegen wieder aus den Play-off-Rängen rutschten, wissen das. Kapitän Per Günther räumte freimütig ein, dass das Heim-FinalFour im Pokal Mitte Februar das große Ziel sei: „Ich gehe davon aus, dass wir uns schon bald, wenn die Auslosung durch ist, damit auch im Training beschäftigen. Wir haben das Potenzial, uns so zu verbessern, dass wir auch die Großen angreifen können. In zwei Spielen ist das möglich“, sagte der Spielmacher, dem beim „Fantalk“mit einer Gummigitarre noch eine erstaunlich dialektsichere Version der „Schwäbischa Eisenbahna“glückte.
Per Günther aus Hagen kann auch schwäbisch, so viel ist nun sicher, und sollte seinen Ulmern tatsächlich das Wunder vom Titel glücken, wird er sicher freiwillig ein Zusatz-Gratiskonzert vor dem Münster geben.