Ein Herz für Raubkatzen
In Franken kümmert sich ein Verein um Tiger, Pumas und Luchse aus schlechter Haltung – Nun droht ihm das Geld auszugehen
- Pünktchen faucht. Der alten Pumadame passt es offenbar nicht, dass sich ein wildfremder Besucher ihrem Innengehege nähert – irgendwie verständlich, der Raum ist Rückzugsort und Schlafzimmer. „Pünktchen fühlt sich gerne gestört“, meint die junge Tierpflegerin Yvonne Miksch, die zum Putzen des Geheges unterwegs ist. Worauf die Pumadame nochmals faucht, einen abfälligen Blick herüber wirft und dann mit anmutigen Bewegungen durch eine Klappe in der Wand hinaus ins Außengehege entschwindet – obwohl draußen ein eisiger Wind weht.
Seit 19 Jahren hat Pünktchen hier eine Heimat. Sie nennt sich Raubtierund Exotenasyl. Die Einrichtung ist ein eingetragener Verein. Er hat seinen Sitz im Fränkischen bei Ansbach am Rand eines unscheinbaren Fleckens namens Wallersdorf. Vereinszweck ist die Aufnahme von „in Not geratenen Raubkatzen, Primaten und Exoten aller Art“, wie es in einem Prospekt heißt. „Tiere aus illegaler oder schlechter Haltung finden hier ein neues Zuhause“, steht dort weiter. Pünktchen ist hierzu ein gutes Beispiel. Sie und ihr inzwischen verstorbener Bruder Anton stammen aus dem Besitz eines Bordellbetreibers. „Als die beiden Pumas noch ganz klein waren, hat er sie zu Fotoaufnahmen benutzt“, erzählt Doris Bauer, Beisitzerin im Vereinsvorstand. Später seien sie dann in einem kleinen Verschlag von der Rotlichtgröße übelst weggesperrt gewesen.
Happy End im Tiergehege
Die Behörden bekamen offenbar Wind von der Puma-Haltung. Es folgte die Beschlagnahmung der damals zwei Jahre alten Tiere. Schließlich kamen sie im Raubtierasyl unter. Eine Art Happy End – soweit das bei solchen Geschöpfen unter diesen Umständen überhaupt möglich ist.
Doch inzwischen ist die Einrichtung in Wallersdorf bedroht. Dies hat mit dem Geld zu tun. Reich war der Verein mit seinen rund 200 Mitgliedern nie. Das rund 6000 Quadratmeter große Gelände ist nur angepachtet. Wie Doris Bauer berichtet, habe der Besitzer bereits in jüngerer Zeit höhere Pachtsummen haben wollen. „Nun will er das Gelände aber verkaufen“, fährt die Frau fort. Die Absicht ist seit eineinhalb Jahren bekannt. Als Preis, sagt Doris Bauer, stünden 600 000 Euro im Raum – schwer stemmbar für den Verein.
Wenn es dabei bleiben sollte, wäre die Summe wohl nur über Spenden und Schulden finanzierbar. „Dann hätten wir aber keine Mittel mehr, um die dringend notwendige Modernisierung und Erweiterung der Anlage zu bezahlen“, betont Doris Bauer. Die einfachste Lösung bestünde letztlich in der Gewährung öffentlicher Zuschüsse. Da lief der Verein aber bisher gegen Mauern. Der jüngste Antrag auf Hilfe scheiterte vergangenen März im Umweltausschuss des bayerischen Landtags am Widerstand der CSU. Beim Verein und seinen Unterstützern stößt dies auf größtmögliches Unverständnis. Eine zentrale Rolle spielt dabei die bundesweite Position des Raubtierasyls: „Wir sind in Deutschland praktisch die einzige Auffangstation für Großkatzen“, beschreibt Doris Bauer die Lage.
Sie hat damit weitgehend recht. Es gibt nur noch ein kleineres, heillos überfülltes Asyl im rheinland-pfälzischen Massweiler, das ebenso Großkatzen aufnimmt. Weitere Auffangstationen dienen anderen Spezies, etwa Bären. Eine davon existiert im Südschwarzwald: der Alternative Wolf- und Bärenpark in Bad Rippoldsau-Schapbach. Jurka, die Mutter des 2006 in Bayern erlegten „Problembären“Bruno, kam dort unter.
Für Reptilien existiert beispielsweise ein Heim in München. Nun könnte man fragen, worin das tiefere Problem besteht. Wobei die Antwort einfach ist: Beschlagnahmen Behörden Tiger, Luchse oder vielleicht auch Löwen, brauchen diese Tiere ein neues Zuhause.
Sie können ganz unterschiedliche Schicksale haben. Der Tigerbestand in Wallersdorf geht auf einen Zirkus zurück. Er war mit der Haltung überfordert, die beeindruckenden riesigen Katzen verkamen – bis schließlich von Amts wegen eingegriffen wurde. Auswildern geht bei diesen an Gefangenschaft gewöhnten Tieren jedoch nicht mehr. Einschläfern verbietet das Gesetz. Zoos bescheiden behördliche Anfragen üblicherweise mit einem Nein. Geschöpfe mit unklarer Herkunft werden von ihnen abgelehnt, weil sie nicht für die Zucht taugen. Zudem ist in den Zoos meist kein Platz.
Neuankömmling Luchs Rokko
Wald- und Wiesenwildparks tun sich hingegen mit Großkatzen schwer. Der exotische Tiger neben der landläufigen Wildsau passt eben nicht ins Bild. So liegt es nahe, im Wallersdorfer Raubtierasyl anzurufen. Der Verein sieht sich praktisch staatlicherseits in die Pflicht genommen.
Im Schnitt treffe monatlich eine Anfrage ein, gibt er Auskunft. Zuletzt fand Luchs Rokko ein Quartier. Im April 2017 wurde er ins Gehege gebracht. Rokko kam aus einem Wildpark bei Berlin. Dort hatte es für ihn keinen Platz mehr gegeben. Insgesamt sind im Asyl fünf sibirische Tiger, ein Puma, zwei Luchse, ein Polarfuchs, ein Rotfuchs, zwei JapanMakaken, ein Karakal, zwei Bengalkatzen und einige Kleintiere sowie Frettchen untergebracht. Die Anlage geht auf den Privatzoo eines örtlichen Architekten zurück und entstand in den 1990er-Jahren. Der Mann hatte jedoch geschäftlich Pech. Grund und Boden übernahm der jetzige Eigentümer. Indes kümmerte sich ein später insolvent gegangener Tierschutzverein um die vorhandenen Tiere. 2007 wurde das Raubtier- und Exotenasyl gegründet. Zwei Jahre später übernahm es die Anlage als Pächter. Momentan ist sie voll.
Selbst wenn eines der großen Tiere sterben sollte, wird nicht einfach ein Platz frei: „Weil die Gehege in die Jahre gekommen sind, gibt es gegenwärtig keine Neuaufnahmen mehr“, sagt Vorstandsbeisitzerin Bauer. Auch deshalb seien öffentliche Zuschüsse dringend nötig. Das Asyl scheint aber in einen Teufelskreis geraten zu sein. Dies liegt wohl letztendlich an der Aufnahmesperre. So schreibt das bayerische Umweltministerium: „Das von einem gemeinnützigen Verein getragene Raubtierund Exotenasyl in Ansbach-Wallersdorf ist keine Aufnahmestation für behördlicherseits unterzubringende Tiere, vergleichbar der Reptilienauffangstation München, sondern ein Gnadenhof.“Als solcher verdient er nach amtlicher Ansicht keine finanziellen Hilfen. Darauf berief sich auch die CSU bei ihrer negativen Entscheidung im Umweltausschuss des Landtags vergangenen März.
Das Reptilienrefugium erhält hingegen seit 2009 von den bayerischen Ministerien für Umwelt und des Inneren einen freiwilligen jährlichen Zuschuss von derzeit 340 000 Euro. Hilfe gibt es sogar von der baden-württembergischen Landesregierung, weil auch Echsen aus dem Südwesten nach München kommen. Eine Ungleichbehandlung, glaubt Doris Bauer. Ihr Mann Peter Bauer, Landtagsabgeordneter der Freien Wähler, versucht dies seit Jahren zu korrigieren.
Zuletzt hat er außer seiner Partei noch SPD und Grüne auf Beihilfen für das Raubtierasyl einschwören können – angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Freistaat aber eine vergebliche Liebesmühe. Wobei die Tätigkeit des Vereins von der bayerischen Staatsregierung durchaus schon gewürdigt wurde. 2014 erhielt er von Umweltministerin Ulrike Scharf den Tierschutz-Sonderpreis in Höhe von 5000 Euro. „Das reicht nicht einmal für einen Monat Futter“, heißt es hämisch aus Vereinsreihen.
Aber von diesem Einwurf einmal abgesehen, zeigt sich auch eine ausschlaggebende Behörde zufrieden mit der Einrichtung, nämlich das Veterinäramt des Landkreises Ansbach. Es meldet: „Die letzten Kontrollen waren beanstandungsfrei.“Aus Sicht des übergeordneten Landratsamtes würden sich die Betreiber „in ganz erheblichem Umfang“engagieren und „den aufgenommenen Tieren eine möglichst optimale Unterbringung“verschaffen.
Aber was ist, wenn in Wallersdorf nichts mehr geht? Und sonst wo in Deutschland ebenso wenig? „Da die Plätze so rar sind, müssen Tierschutzorganisationen mittlerweile europa- oder sogar weltweit miteinander kooperieren“, erklärt Lea Schmitz, Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes. Dies soll heißen, dass Behörden beschlagnahmte Tiere durchaus auch ans Ausland abgeben. Im niederländischen Almere können etwa exotische Säugetiere unterkommen. In Spanien existiert das Projekt Primadomus, welches Großkatzen aufnimmt. Wie der Tierschutzbund berichtet, konnten dort zwei Löwenjungen aus Sachsen-Anhalt hingebracht werden. Sie hatten einem Privathalter gehört und waren 2015 beschlagnahmt worden.
„Wir hören aber auch, dass Behörden Tiere nach Osteuropa abgeben“, erzählt Vorstandsbeisitzerin Bauer auf dem Wallersdorfer Asyl-Gelände. Dort verliere sich deren Spur. Eine amtliche Aussage über eine solche Praxis ist nicht zu bekommen. Dies liegt womöglich daran, dass Kreisverwaltungsbehörden eigenverantwortlich über die Wegnahme und Unterbringung der Tiere entscheiden können. Eine zentrale Erfassung fehlt.
Da hat es Puma Pünktchen doch noch gut erwischt. Die alte Dame kehrt nach ihrem Ausflug ins Außengehege bald wieder schleichend in den Innenraum zurück. „Es war wohl zu kalt“, meint Tierpflegerin Miksch. Dumm nur, dass der fremde Besuch immer noch da ist. Ein weiteres Fauchen, worauf sich Pünktchen ablegt und durchs Gitter starrt. Eventuell macht ihr Vorbesitzer, der besagte Bordellbetreiber, gegenwärtig dasselbe. Aus diesem Milieu ist der Weg hinter schwedische Gardinen schließlich nicht weit.
„Wir sind in Deutschland praktisch die einzige Auffangstation für Großkatzen.“Doris Bauer vom Raubtier- und Exotenasyl