Die neue Hoffnung der SPD
Hammer und Amboss in einer Person: Andrea Nahles soll den Parteivorsitz übernehmen
- Zusammen mit SPD-Chef Martin Schulz tritt Andrea Nahles am Mittwochabend im WillyBrandt-Haus vor die Presse. Martin Schulz lobt kurz den Koalitionsvertrag und kündigt an: Er gibt als Parteichef auf und schlägt Andrea Nahles als Nachfolgerin vor. Nach dem Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag mit der Union am 4. März will er den Wechsel einleiten. Erstmals seit 154 Jahren hätte die SPD dann eine Frau an ihrer Spitze.
100 Prozent der Stimmen hatte Martin Schulz bei seiner Wahl in Berlin vor einem Jahr erhalten. Der Mann aus Würselen galt mit seiner unverstellten Art als Hoffnung für die SPD. Doch dann machte er in den Augen seiner Anhänger sehr viel falsch. Er hielt sich zu sehr zurück, die SPD verlor im letzten Jahr bei Landtagswahlen und SPD-Chef Martin Schulz war nicht mehr länger der SPD-Hoffnungsträger. Sein Absturz in den Umfragen ging weiter, als er zu oft seine Meinung änderte.
Nahles verkörpert neue Generation
Erst wollte er auf gar keinen Fall eine Große Koalition, dann wollte er doch. Erst versprach er, er werde auf keinen Fall Minister in einem Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), jetzt will er Außenminister werden. Es gab so viel Kritik an Schulz, dass er im Willy-BrandtHaus schon als „dead man walking“– zu Deutsch etwa „toter Mann zu Fuß“– bezeichnet wurde. Schulz wurde zum Auslaufmodell eines Parteichefs. „Ich kann der Erwartungshaltung der Partei nicht gerecht werden“, gibt Schulz zu. Jetzt will er nicht mehr. „Jeder Politiker ist verpflichtet, sich keinen Illusionen hinzugeben“, so Schulz. Es sei die Erwartungshaltung der Partei, einen Erneuerungsprozess durchzuführen. „Es gibt jemand, der das besser leisten kann als ich: Andrea Nahles.“
„Was können Sie besser als Herr Schulz?“, wird Andrea Nahles von Journalisten gefragt. „Stricken“, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen. Andrea Nahles verkörpert eine neue Generation. 1995 war sie noch die linke, freche Juso-Chefin. Seitdem sind zwei Jahrzehnte vergangen und SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles hat an Statur gewonnen. Als Arbeits- und Sozialministerin im Kabinett Merkel zollten ihr viele CDU-Politiker höchsten Respekt. Es heißt, dass sie sehr sortiert und klug in Verhandlungen geht.
Das steht etwas im Widerspruch zu ihren manchmal allzu kindlichen Anwandlungen, wenn sie etwa auf dem SPD-Parteitag in Richtung Union sagt: „Bätschi, das wird ganz teuer.“Wenn sie Pipi-Langstrumpf-Lieder im Bundestag singt oder der Union halb scherzhaft ankündigt, ab morgen kriegten sie „in die Fresse“. Ganz anders tritt der Dritte im Bunde auf, Olaf Scholz, der Hamburger Bürgermeister, der jetzt als Finanzminister nach Berlin kommt und auch Vizekanzler werden soll. In dieser Position kann er vielleicht auch eine SPD-Kanzlerkandidatur anmelden, wenn er möchte. Dann allerdings müsste er sich mit Andrea Nahles einigen. Sie ist eindeutig das neue Macht- und Kraftzentrum in der SPD. Sie gehört, wie es sich die SPD-Basis wünscht, nicht der Regierung an und kann frei agieren. Sie tritt sehr klar auf, wie Schulz lobt, und sei dabei gleichzeitig eine „sehr integrative Persönlichkeit, eine Person, die Hammer und Amboss zugleich sein kann“.
Nahles will mit Schulz an einem Strang ziehen und nennt das Europakapitel eines der Glanzstücke des Vertrages, und dies habe Schulz verhandelt. Das verkörpere er mit Leib und Seele. Doch es gehe auch um die Erneuerung der Partei. „Ihr müsst auch dafür sorgen, dass unsere Partei erkennbar bleibt“, forderten die Mitglieder. „Ich glaube, dass ich als Fraktionsund Parteichefin das umsetzen könnte.“Für Andrea Nahles geht es darum, möglichst viel umzusetzen von dem, was man im Koalitionsvertrag erreicht hat.
Gemeinsam wollen die beiden jetzt für ein Ja der Mitglieder zur Großen Koalition werben. Zunächst einmal soll Nahles die Partei kommissarisch führen. „Sollten wir nach einem erfolgreichen Mitgliedervotum in die Regierung eintreten, werde ich vorschlagen, einen außerordentlichen Parteitag einzuberufen“, sagt Martin Schulz. Der Parteitag soll dann entscheiden.