Zwischen Maya-Kultur und Maschinengewehren
Das durch den Bürgerkrieg arg gebeutelte El Salvador unternimmt erste Schritte in Richtung Tourismus
G rau ragen die gebogenen Wände der Ingles El Rosario im Zentrum der Hauptstadt San Salvador in die Luft, die Mauer ist von Stacheldraht gesäumt. Wie ein Bunker wirkt diese Kirche. Doch wer das Bauwerk betritt, wird von Licht in Farben des Regenbogens geblendet: Die halbrunden Wände der Kirche sind mit farbigem Glas durchsetzt, das den ganzen Kirchenraum in buntes Licht taucht. Nichts an diesem Gotteshaus ist normal für eine katholische Kirche: Der Grundriss ist rechteckig statt kreuzförmig, die Stationen des Kreuzwegs sind moderne Skulpturen, Mosaiksteine spiegeln das bunte Licht wider.
Kein Gebäude in El Salvador steht so symbolisch für die Extreme dieses Landes wie die Ingles El Rosario: Die Gefahren, die Risiken, die Zerstörung, die Probleme in El Salvador sind hier genauso greifbar nahe wie die Freundlichkeit der Menschen, die Liebe zu ihrem Land, die zum Teil atemberaubende Natur und die Kulturgeschichte.
Erdbeben an der Tagesordnung
Eigentlich hat das kleine Land in Zentralamerika viele Argumente für den Tourismus: einige der bedeutendsten Maya-Funde der Welt; eine ornithologische Vielfalt, die Vogelbeobachter aus aller Welt anzieht; Vulkanseen und Strände, die Surfer glücklich machen. Doch in El Salvador sind die Folgen des Bürgerkriegs, der von 1980 bis 1991 im Land wütete und rund 70 000 Tote vorwiegend unter der Zivilbevölkerung forderte, noch immer spür- und sichtbar. Bandenkriminalität gehört zum Alltag. Zudem gilt es als eines der erdbebenreichsten Länder der Welt: Im Durchschnitt 500 Mal pro Jahr sind seismische Ausschläge messbar.
Gerade in der Hauptstadt San Salvador erfordert das Reisen höchste Aufmerksamkeit: „Wer einmal falsch abbiegt, kann zwischen die Gangs geraten. Und die wissen sofort, ob da ein Fremder im Auto sitzt, der sich nicht auskennt“, sagt Tourguide Ju- lio. Egal, wo im Land man unterwegs ist: Waffen sind allgegenwärtig. Wer heute Gebäude oder Ausgrabungsstätten bewacht, hat ein Maschinengewehr über der Schulter hängen. Das gehört mittlerweile in vielen Ländern zum normalen Alltag. In El Salvador hat die Präsenz schwer bewaffneter Ordnungshüter aber noch einen anderen Grund: Die Militärs brauchten nach dem Ende des Bürgerkriegs neue Jobs und sind jetzt eben für die Sicherheit zuständig.
Doch mit ortskundigen Guides sind in der Stadt zwischen Blumen und Baustellen wahre Schätze zu finden: das wunderbare Kunstmuseum beispielsweise, die Gruft des Märtyrers Bischof Romero, der von den Salvadorianern wie ein Heiliger verehrt wird, oder eben die Ingles El Rosario mit ihrer Symbolkraft. Die 14 Reihen farbiger Glasscheiben stehen für die 14 Stufen des Himmels aus der „Göttlichen Komödie“und sollen zugleich die 14 Nationalitäten, die die Hauptbevölkerung in El Salvador ausmachen, unter einem Dach zusammenführen. „Diese Kirche wäre so niemals gebaut worden, wenn der Architekt nicht die Genehmigung direkt vom Papst bekommen hätte“, sagt Julio mit einem Stolz, als wäre es seine Idee gewesen, die Regierung auszutricksen.
Wer die Stadtgrenzen verlässt, sieht die Folgen des jahrelangen Bürgerkriegs: Das Land hat sich jahrzehntelang nicht weiterentwickeln können. Doch es gibt Ausnahmen: Die kleinen, feinen Hotels, die von idealistischen Europäern oder Amerikanern auf dem Land gebaut wurden. Sie stehen im krassen Widerspruch zu dem, wie die Salvadorianer einen Steinwurf weiter leben. In manchen Dörfern gibt es weder fließendes Wasser noch Strom.
Nur ein Wellblechdach
Ihr Alleinstellungsmerkmal nutzen die Salvadorianer kaum aus: Ihre Kulturgeschichte verfällt, weil das Geld für die Vermarktung und den Erhalt fehlt. Das gilt nicht nur für die Pyramide Tazumal nahe Santa Ana, der die seismischen Bewegungen schwer zu schaffen machen, sondern vor allem für die von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärte Ausgrabungsstätte Joya de Cerén. Sie zeigt wie keine andere auf der Welt, wie die einfachen Bürger der MayaKultur einst gelebt haben. Ein Vulkanausbruch führte etwa im Jahr 600 dazu, dass die Häuser urplötzlich mitten im Alltagsgeschehen verlassen wurden – was heute viel Aufschluss über das Leben der Menschen von damals gibt, über ihre Nahrung, ihre Wohnungen, ihre Keramik. Doch die freigelegten Gebäude verfallen zum Teil, weil sie vor der feuchtwarmen Witterung nicht geschützt sind – lediglich ein großes Wellblechdach hält Regen ab.
Die Salvadorianer versuchen, ihre Geschichte und ihre Kultur für den Tourismus zu nutzen. So können Gäste in Suchitoto selbst mit Indigo färben – bis zur synthetischen Herstellung blauer Farbe war die seltene Pflanze ein Hauptwirtschaftszweig der Landbevölkerung. Maya-Nachfahren demonstrieren ihre Rituale, erfahrene Köchinnen zeigen Restaurantgästen, wie das Nationalgericht Pupusas (mit Bohnenmus und Käse gefüllte Tortillas) zubereitet wird. Führungen durch Kaffeeplantagen sind genauso möglich wie rund um die Vulkane. Wer möchte, geht an einem der vielen Seen auf Fotopirsch. Touristen, die sich mit Guides auf sicheren Pfaden bewegen, bekommen – so wie in der Ingles El Rosario – das farbenfrohe und freundliche Herz des Landes zu sehen.