„Erdogan will mich einschüchtern“
Die Türkei dringt darauf, Can Dündar, Ex-Chefredakteur der türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“, auf die Interpol-Fahndungsliste zu setzen
- Die Türkei will den im deutschen Exil lebenden Can Dündar, Ex-Chefredakteur der türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“, auf die Fahndungsliste von Interpol setzen. Ein Istanbuler Gericht habe das Justizministerium aufgefordert, Dündar bei Interpol suchen zu lassen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Zudem sei ein Haftbefehl ausgestellt worden. Tobias Schmidt sprach mit Dündar.
Das türkische Justizministerium will Sie in Deutschland festnehmen lassen und vor Gericht stellen. Müssen Sie sich jetzt verstecken?
Nein, ich hoffe nicht! Die Türkei will mich wegen absurder Spionagevorwürfe für 15 bis 20 Jahre ins Gefängnis stecken und hat deswegen einen Haftbefehl erlassen. Sie haben sich überraschenderweise an Belgien gewandt, um meine Auslieferung zu er- reichen. Warum Ankara aus Brüssel Unterstützung erhofft, obwohl ich in Deutschland im Exil lebe, kann ich mir nicht erklären. Und Erdogan will mich auf die Fahndungsliste von Interpol setzen lassen.
Das hört sich bedrohlich an. Sie machen sich aber keine Sorgen?
Unter normalen Umständen habe ich nichts zu befürchten. Auf der Fahndungsliste von Interpol stehen Terroristen und Verbrecher, keine Journalisten. Würde sich das ändern, weil der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dies fordert, wäre das eine verheerende Entwicklung.
Wenn Erdogans Versuche, Sie festnehmen zu lassen, aussichtslos sind, was führt er dann im Schilde?
Erdogan will mich einschüchtern, indem er mir signalisiert: Ich greife auch in Deutschland nach dir! Und ihm geht es um die Botschaft an andere kritische Journalisten und Oppositionelle, dass niemand vor ihm sicher ist, auch nicht in Europa. Und natürlich versucht er, Interpol als nationale Polizeibehörde zu missbrauchen, die ganz nach seiner Pfeife tanzt.
Sie fühlen sich in Deutschland wirklich sicher?
Dass das deutsche Justizministerium meine Festnahme und gar eine Auslieferung zulassen könnte, halte ich für unvorstellbar. Dann würde Deutschland zugleich seine Ideale und Werte opfern. Das wäre Verrat an den eigenen Prinzipien. Natürlich versucht Erdogan, zum Teil mit Erfolg, viele Länder in der EU zu erpressen und auszutricksen. Aber so weit werden sie wohl nicht gehen.
Grund für die Spionage-Anklage in der Türkei sind Berichte in der Zeitung „Cumhuriyet“über türkische Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien. Die Fakten stimmen?
Selbstverständlich. Und deswegen werde ich Erdogan in der Türkei vor Gericht bringen, wenn er eines Tages nicht mehr die Justiz in seiner Macht hat. Das Verbrechen sind doch nicht meine Berichte, sondern die Waffenlieferungen an Islamisten. Das war illegal. Und das weiß Erdogan ganz genau und hat deswegen Angst.
In anderthalb Jahren wählen die Türken einen neuen Präsidenten. Halten Sie es für denkbar, dass Erdogan abgewählt wird?
Die Wahl im November 2019 wird über das Schicksal der Türkei entscheiden, über eine Zukunft als Demokratie oder Diktatur. Erdogan hat das Wahlrecht geändert und eine Allianz mit den Nationalisten geschmiedet, um an der Macht zu bleiben. Die Furcht vor Wahlfälschungen ist riesengroß. Wenn die Wahl wirklich frei und fair ablaufen wird, werden die Türken die Erdogan-Regierung abwählen. Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Ob es fair zugehen wird, daran habe ich allerdings massive Zweifel.