Arztbesuch mit dem Smartphone
Modellversuch für Telemedizin startet am Montag im Landkreis Tuttlingen
- Ein Arztbesuch ohne das Haus verlassen zu müssen. Ab kommenden Montag, 16. April, könnte das zur Realität werden. Dann startet die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) ihren Pilotversuch mit dem Namen „docdirekt“. Patienten aus den Modellregionen Tuttlingen und Stuttgart können dann bei akuten Beschwerden einen Arzt über Telefon, Internet oder eine Smartphone-App konsultieren – und so quasi zu einer Onlinesprechstunde gehen. Das ist in Deutschland bislang einzigartig.
Das Angebot richtet sich an alle gesetzlich Krankenversicherten im Landkreis Tuttlingen, die unter akuten Beschwerden leiden und ihren Hausarzt nicht erreichen können. Sie landen entweder via Telefon, Chat oder Videoanruf zunächst bei einem Callcenter in Stuttgart. Die speziell geschulten Medizinischen Fachangestellten nehmen die Patientendaten auf und fragen die Art der Beschwerden ab. Im Anschluss verabreden diese einen Rückruf durch einen Telearzt mit dem Patienten. Deuten die Symptome allerdings auf einen Notfall hin, alarmiert die Medizinische Fachkraft direkt den Rettungsdienst.
Keine Krankschreibungen
Der Telearzt, der ein vollwertig ausgebildeter Mediziner ist, berät den Patienten, gibt Behandlungsempfehlungen oder schickt den Patienten zu einem persönlichen Arztbesuch. Dafür stehen spezielle Arztpraxen, sogenannte „PEP-Praxen“in den Modellregionen zur Verfügung, an die der Telearzt vermittelt. An seine Grenzen kommt der Telearzt auch, wenn es um Krankschreibungen oder verschreibungspflichtige Medikamente geht. Die machen nach wie vor einen persönlichen Arztkontakt notwendig. Damit der Modellversuch überhaupt möglich wurde, musste das Gesetz zur Fernbehandlung ohnehin geändert werden – bislang nur in Baden-Württemberg.
An entsprechenden Änderungen und Bestimmungen für Rezepte und Krankschreibungen werde gerade gearbeitet. „Die Frage, ob wir Telemedizin brauchen, ist bereits beantwortet“, sagte Norbert Metke, Vorstandsvorsitzender der KVBW, am Freitag in Tuttlingen. Bereits jetzt würden sich rund 40 Millionen Deutsche im Internet über ihre Krankheitssymptome informieren. In der Schweiz, in der Telemedizin bereits erlaubt ist, würden auch immer mehr Anrufe aus Baden-Württemberg auflaufen. „Die Telemedizin ist da, weil es die Menschen wollen“, so Metke. Außerdem wolle man diesen Markt nicht privaten Anbietern überlassen, die ökonomische Interessen in ihre medizinische Beratung einfließen lassen könnten.
Entlastung für Arztpraxen
Doch bei dem Angebot geht es nicht nur um eine schnelle Versorgung der Patienten. Es geht auch darum, viele unnötige Arztbesuche zu vermeiden und so die überfüllten Praxen und Notaufnahmen zu entlasten. „Wir merken, dass es mit der medizinischen Versorgung enger wird“, sagte Landrat Stefan Bär bei der Vorstellung des Projekts. Auch im Laufe dieses Jahres würden Praxen im Landkreis aus Altersgründen schließen, für die es noch keine Nachfolge gebe. „Die Telemedizin kann dieses Problem nicht lösen, aber zumindest ein kleiner Baustein der Lösung sein“, so Bär.
Der Landkreis Tuttlingen hatte sich für die Teilnahme an dem Modellversuch beworben. Der ist zunächst auf zwei Jahre ausgelegt. Nach einem Jahr sollen die Erfahrungen bewertet werden. Der Erfolg des Versuchs steht und fällt auch damit, wie viele Patienten das Angebot überhaupt in Anspruch nehmen. Fällt das Fazit positiv aus, könnte „docdirekt“Vorbild für Baden-Württemberg und sogar ganz Deutschland werden.
Insgesamt investiert die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg 650 000 Euro. 100 000 Euro davon trägt das Sozialministerium des Landes und einen weiteren Teil die gesetzlichen Krankenkassen. Arzthonorare sind da noch nicht eingerechnet. Pro Tele-Behandlung erhalten Ärzte 25 Euro.