Streit um Wahlrecht bleibt ungelöst
Die CDU-Abgeordneten im Landtag ernten für ihre Haltung Kritik von allen Seiten
(tja) - Grüne und CDU können sich nicht auf ein neues Landtagswahlrecht einigen. Das gaben die Regierungsfraktionen am Dienstag bekannt. Eine Reform war 2016 vereinbart worden, doch später hatten sich die CDU-Abgeordneten dagegen ausgesprochen. Die Grünen äußerten sich verärgert. Auch aus der CDU kommt Kritik. Inge Gräßle, Landeschefin der Frauenunion, sprach von einem Armutszeugnis für die CDU-Landtagsfraktion.
- Wähler in BadenWürttemberg haben bei Landtagswahlen weiterhin nur eine Stimme, die Auszählung und Verteilung der Sitze an die Parteien läuft wie bisher. Nach monatelangen Diskussionen konnten sich Grüne und CDU nicht auf Änderungen einigen. Am Dienstag nahmen sie daher Abschied von den Reformplänen. Die Grünen sprechen von einem Bruch des Koalitionsvertrags. Auch innerhalb der CDU gibt es scharfe Kritik an der Haltung der eigenen Abgeordneten.
Es war ein Herzensanliegen der Grünen: Sie wollten das geltende Wahlrecht ändern. Das ausgegebene Ziel: Über eine Liste sollten mehr Frauen und Migranten in den Landtag einziehen. Dort liegt der Anteil weiblicher Abgeordneter bei 26 Prozent, so niedrig wie sonst nur noch in Mecklenburg-Vorpommern.
Fraktion gegen Parteichef
Die CDU unterzeichnete 2016 den Koalitionsvertrag, in dem eine entsprechende Reform vereinbart wurde. Doch während Landeschef und Innenminister Thomas Strobl (CDU) sowie die Frauenunion für Änderungen des Wahlrechts plädierten, lehnten die CDU-Landtagsabgeordneten diese einstimmig ab.
Ihr Argument wiederholte am Dienstag Fraktionschef Wolfgang Reinhart: „Wir wollen alle Frauen stärken. Aber das Wahlrecht ist dazu nicht das geeignet Mittel.“Dieses habe sich bewährt und gebe der Basis der Parteien zu Recht großen Einfluss. Die CDU stehe aber weiter zur gemeinsamen Regierung mit den Grünen. „Das war ein Einzelfall“, betonte Reinhart mit Blick auf den Bruch des Koalitionsvertrages durch seine Fraktion.
Grüne sind verstimmt
Sein Amtskollege Andreas Schwarz (Grüne) zeigte sich wesentlich weniger entspannt. „Ich bin sauer und enttäuscht“, so Schwarz. „Der Vertrag ist schließlich kein Neckermann-Katalog, aus dem sich jeder heraussucht, was ihm gefällt.“Offensichtlich sei Frauenförderung der CDU nicht wichtig. „Bei uns dagegen liegt der Anteil der Parlamentarierinnen bei fast 50 Prozent. Wem das Thema wichtig ist, der weiß jetzt, an wen er sich wenden muss“, so Schwarz.
Verstimmt äußerte sich auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Er mahnte die CDULandtagsfraktion, den Koalitionsvertrag künftig einzuhalten und sich auch bei Themen, die dort nicht geregelt seien, kompromissbereit zu zeigen. „So etwas kann man sich nur einmal erlauben, das ist ganz klar. Verlässlichkeit und Vertragstreue sind schließlich hochgradig konservative Werte“, betonte der Ministerpräsident.
Harte Worte ernteten die CDUParlamentarier auch aus den eigenen Reihen. Die Tübingerin Annette Widmann-Mauz, Bundeschefin der Frauenunion, sagte der „Schwäbischen Zeitung“: „Dass einigen der Wille fehlt, den Koalitionsvertrag umzusetzen und Kompromisse zu finden, ist eine bittere Erkenntnis und große Enttäuschung – nicht nur für Frauen.“
Die Heidenheimer Europaabgeordnete Inge Gräßle (CDU) wurde noch deutlicher. Sie ist Landesvorsitzende der CDU-Frauen und hatte wie Widmann-Mauz jahrelang für eine Wahlrechtsreform gekämpft. „Das ist ein Armutszeugnis für die CDU-Landtagsfraktion. Diese Verweigerungshaltung ist besorgniserregend“, sagte Gräßle am Dienstag. Die CDU-Abgeordneten im Landtag hätten keine Vorschläge gemacht, wie sie Frauen in der Politik fördern wollten. „Es reicht nicht, die Verantwortung dafür nur der Landespartei zuzuschieben.“Das Wahlrecht sei ein wichtiges Instrument, um mehr Chancengleichheit zu schaffen. Dazu hätte es dringend einer Reform bedurft, so Gräßle. „Die Partei wird den Denkzettel dafür bei den kommenden Wahlen erhalten. Das stärkt Parteien, denen es besser gelingt, Frauen und Minderheiten in ihren Reihen zu stärken“, glaubt Gräßle.
Scharfe Kritik übten auch SPD, FDP sowie Gewerkschaften und Landesfrauenrat. Frauenförderung stehe bei der CDU offenbar weit hinten auf der politischen Agenda, so der Tenor. Die Landtagsabgeordneten seien nur darauf aus, den eigenen Sitz im Parlament nicht durch ein anderes Wahlrecht zu gefährden.