Die Kirchen schrumpfen weiter
Zahl der Mitglieder sinkt im Jahr 2017 um 660 000 – Kirchensteuereinnahmen steigen
BONN/STUTTGART/FULDA - Nur noch 54 Prozent und somit etwa die Hälfte der Deutschen gehören einer der beiden großen christlichen Kirchen an. 2005 waren es noch 62 Prozent. Die Zahl der Katholiken und Protestanten in der Bundesrepublik sinkt kontinuierlich, allein im vergangenen Jahr um etwa 660 000. Ein Trend, der auch vor Baden-Württemberg und Bayern nicht haltmacht. Wobei die 20 protestantischen Landeskirchen in Deutschland mehr Mitglieder (390 000) verloren haben als die 27 katholischen Bistümer (270 000). Die Zahl der Kirchenaustritte nahm bei beiden Konfessionen erneut leicht zu. Rund 200 000 Menschen verließen 2017 die evangelische Kirche, im Jahr zuvor waren es 190 000. Bei den Katholiken waren es 167 000 Austritte im Vergleich zu 162 000 im Jahr 2016. Die Mitgliederzahlen der Kirchen gehen jedoch auch deshalb zurück, weil es unter den Gläubigen mehr Sterbefälle als Taufen oder Wiedereintritte gibt.
Den demografischen Faktor führt auch Thomas Sternberg, der Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, an. Es sei nicht so, „dass uns die Mitglieder in Scharen davonlaufen“, sagte er am Freitag der „Schwäbischen Zeitung“. „Wir haben mehr Beerdigungen als Taufen. Die Austritte selbst erklären sich mit längeren Entfremdungsprozessen.“ Hierbei sei „jeder einzelne Fall natürlich verhängnisvoll“.
Tiefer in die Analyse ging der kürzlich emeritierte Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen. In seiner Predigt zur Eröffnung des Kongresses „Freude am Glauben“in Fulda kritisierte der katholische Geistliche am Freitag, dass viele Gläubige „vor dem Zeitgeist in die Knie“gingen. Die Christen seien zu einer Glaubensgemeinschaft geworden, die „viel Verunsicherung ausstrahlt sowie Ansprüche und Maßstäbe abgebaut hat“, erklärte er. Das Kreuz als „Bekenntnis- und Erkennungszeichen“sowie das Sichbekreuzigen verlören an Bedeutung in der Gesellschaft. „Es ist schlimm, feststellen zu müssen, dass die eigentliche ‚Kreuzabnahme‘ weniger in Schulen und Gerichtssälen als vielmehr in den eigenen vier Wänden und in den Herzen geschieht“, sagte Algermissen.
Der Mitgliederschwund wirkte sich 2017 übrigens nicht auf die Einnahmen durch Kirchensteuern aus. Das Aufkommen wuchs in der evangelischen Kirche nach deren Angaben auf 5,67 Milliarden Euro. Die katholische Kirche machte in ihrer Statistik dazu keine Angaben. Mittelfristig rechnen die Kirchen aber mit Einbußen durch den demografischen Wandel und das Ausscheiden der sogenannten Babyboomer-Jahrgänge von 1955 bis 1969. Ein großer Teil der Kirchensteuern wird den Angaben zufolge von ihnen aufgebracht.
(sz/KNA/epd) - Der Mitgliederschwund in den beiden großen Kirchen in Deutschland setzt sich fort. Schuld ist vor allem der demografische Wandel: Mehr Mitglieder sterben als neue hinzukommen. 2017 stieg in beiden Kirchen aber auch die Zahl der Austritte. Wichtige Fragen und Antworten zur Entwicklung der katholischen und der evangelischen Kirche.
Wie hat sich die Zahl der katholischen und evangelischen Christen entwickelt?
Insgesamt gehört nach wie vor mehr als die Hälfte der 82,5 Millionen in Deutschland lebenden Menschen einer der beiden großen christlichen Kirchen an. Das geht aus den am Freitag vorgelegten Statistiken der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hervor. Bundesweit hatte die katholische Kirche 2017 demnach rund 23,3 Millionen Mitglieder, was 28,2 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Die EKD bezifferte die Zahl ihrer Mitglieder in den 20 Landeskirchen auf 21,5 Millionen, ein Anteil von etwa 26 Prozent. Das macht zusammen rund 54,2 Prozent. Rechnet man noch die evangelischen Freikirchen, die Orthodoxen sowie die Angehörigen anderer christlicher Kirchen oder Gemeinschaften hinzu, steigt dieser Wert sogar auf 57,6 Prozent. Doch der Trend, das räumen Bischofskonferenz und EKD ein, zeigt weiter nach unten. Die 20 protestantischen Landeskirchen in Deutschland haben mehr Mitglieder (390 000) verloren als die 27 katholischen Bistümer (270 000). Der Mitgliederschwund summierte sich damit bei beiden Kirchen auf 660 000. 2016 waren es insgesamt rund 530 000 verlorene Mitglieder gewesen.
Welche Gründe gibt es für die Entwicklung?
Ein Grund ist der demografische Wandel. Es sterben mehr Mitglieder als neue hinzukommen. So verzeichnet die katholische Kirche für das Jahr 2017 fast 244 000 Bestattungen – bei knapp 170 000 Taufen und 9332 Neuaufnahmen oder Wiedereintritten. Die EKD zählte für 2017 rund 350 000 verstorbene Mitglieder gegenüber circa 180 000 Taufen und 25 000 Aufnahmen. Weiterhin auf hohem Niveau bleibt die Zahl der Austritte. Der katholischen Kirche kehrten im vergangenen Jahr 167 504 Menschen den Rücken; in den EKD-Landeskirchen waren es rund 200 000 Austritte.
Wie ist die Entwicklung in Baden-Württemberg?
In Baden-Württemberg sind 2017 rund 56 000 Christen aus ihrer Kirche ausgetreten, je etwa gleich viele aus der katholischen und der evangelischen. Laut der am Freitag von den Kirchen veröffentlichten Jahresstatistik für 2017 leben im Südwesten etwa 6,86 Millionen Christen: in der württembergischen evangelischen Landeskirche 2,02 Millionen und in der badischen 1,16 Millionen Protestanten sowie im Erzbistum Freiburg 1,85 Millionen und im Bistum Rottenburg-Stuttgart 1,83 Millionen Katholiken. Landesweit verzeichnet die Statistik 54 000 Taufen und 78 500 Bestattungen.
Wie sieht es in Bayern aus?
In Bayern lebten im vergangenen Jahr rund 2,4 Millionen evangelische und 6,4 Millionen katholische Christen. Die Ein- und Austrittszahlen bewegen sich dabei auf konstantem Niveau, wie aus einer Mitteilung der bayerischen evangelischen Landeskirche vom Freitag hervorging. Im vergangenen Jahr kehrten 23 647 Menschen der evangelischen Kirche den Rücken, 2734 sind eingetreten, im Vorjahr waren es 22 694 beziehungsweise 2870. Dazu kamen im vergangenen Jahr mehr als 22 000 Taufen, aber auch fast 28 000 Bestattungen.
Was bedeutet das für die Kirchensteuereinnahmen?
Die Kirchensteuereinnahmen in Deutschland stiegen – und zwar von 5,454 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf 5,67 Milliarden Euro im Jahr 2017. Auch hier werde sich der demografische Wandel auswirken, so die EKD. Einen großen Teil des Kirchensteueraufkommens brächten die geburtenstarken Jahrgänge zwischen 1955 und 1969 auf. Durch das Ausscheiden der „Babyboomer“aus dem Erwerbsleben werde deren Beitrag deutlich sinken. Derzeit zahlen rund 40 Prozent aller Kirchenmitglieder Kirchensteuer.