Städte wollen fahrradfreundlich werden
Land plant Verdoppelung des Radverkehrs und ein flächendeckendes Wegenetz
- Gesund soll es sein, stattdessen kann es gefährlich werden: Das Auto stehen zu lassen und mit dem Fahrrad zur Arbeit und zum Einkaufen zu fahren. Laut Verkehrsstatistiken passieren die meisten Fahrradunfälle innerorts. Wie sicher Fahrradfahrer in den Kommunen aber von A nach B kommen, hängt auch davon ab, wie fahrradfreundlich die Gemeinde ist. Dabei gibt es in der Region große Unterschiede.
Wie gut die einzelnen Kommunen dabei dastehen, beantworten die Bürger alle zwei Jahre im Fahrradklima-Test des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Während Friedrichshafen sich auf dem Weg zur Fahrradstadt sieht und beim Test landesweit auf Platz zwei der Städte bis 100 000 Einwohner rangiert, tauchen beispielsweise Biberach, Sigmaringen und Tuttlingen in der Befragung gar nicht erst auf. „Dort reichte die Beteiligung an der Umfrage nicht aus, um in den Vergleich aufgenommen zu werden. Das ist ein deutliches Zeichen, dass Rad fahren dort zu wenig gefördert wird“, sagt Gudrun Zühlke, Landesvorsitzende des ADFC Baden-Württemberg.
Tuttlingen plant Radroutennetz
Die Stadt Tuttlingen will das Projekt „Fahrradfreundlichkeit“jetzt aber angehen. Mit ein Anlass war eine Umfrage unter den Tuttlinger Radfahrern, und die Liste der Kritikpunkte ist lang: etwa Fahrradstreifen, die von Autos als Abbiegespur benutzt werden, fehlende Radrouten und gefährliche Einmündungen. Tuttlingen will jetzt ein Radroutennetz ausarbeiten und bestehende Radwege optimieren. 200 000 Euro sind dafür allein in diesem Jahr eingeplant. Zudem will die Stadt Mitglied der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen (AgfK) werden – ein Zusammenschluss von bisher 70 Gemeinden in BadenWürttemberg, der vom Verkehrsministerium gefördert wird.
Wo Tuttlingen das jüngste Mitglied werden will, ist Friedrichshafen seit der Gründung 2010 dabei, sagt der Erste Bürgermeister Stefan Köhler. Das größte Projekt sei derzeit der Veloring: Die sieben Kilometer lange Schnellstrecke soll in einem Halbkreis die ganze Innenstadt umspannen. Rund drei Millionen Euro sind in Friedrichshafen in den vergangenen zwei Jahren in den Radverkehr geflossen, so Köhler. „Das waren 50 Euro je Einwohner. Wir kennen keine Stadt in unserer Größenordnung und auch keine größere Stadt in Deutschland, die eine solche ,Pro-Kopf-Ausgabe‘ erreicht.“
Trotzdem ist die Landesauszeichnung „fahrradfreundliche Kommune“, die an Mitglieder der AgfK verliehen wird, noch nie in die Region gegangen, obwohl sie mit Aalen, Bad Waldsee, Biberach, Friedrichshafen, Ravensburg, Ulm, Mengen, Heidenheim, Schwäbisch Gmünd sowie den ganzen Landkreisen Biberach und Ravensburg gut vertreten ist. Ausgezeichnet wurden bislang Freiburg, Karlsruhe, Offenburg, Heidelberg, Kirchheim unter Teck, Tübingen, Lörrach und Mannheim.
Um als „fahrradfreundlich“zu gelten, müssen die Kommunen unter anderem gewisse Standards, etwa vom Verkehrsministerium festgelegte Radwegbreiten, erfüllen.
7000 Kilometer Radnetz
Ziel des Landes ist es, den Radverkehrsanteil in Baden-Württemberg bis 2020 auf 16 Prozent aller Wege zu verdoppeln, im Vergleich zu den neuesten verfügbaren Zahlen von 2008. Bis 2030 soll der Anteil dann weiter steigen auf 20 Prozent. Das Land baut laut Verkehrsministerium derzeit gemeinsam mit den Kommunen ein 7000 Kilometer langes, landesweites Radnetz auf. „Wir sind mit der Planung sehr zufrieden“, beurteilt Gudrun Zühlke das Projekt, an dem sie selbst als Teil eines Expertengremiums mitgearbeitet hat. Es gebe kein anderes Land, dass so umfassende Vorhaben für ein Radnetz habe.
Das Land fördert zudem den Ausbau des kommunalen Radverkehrs. Im neuen Förderprogramm 20182022 seien 93 Projekte mit einem Gesamtfördervolumen in Höhe von 46 Millionen Euro aufgenommen worden. Die Zuschüsse gehen unter anderem an den Bau von Radwegen, Schutzstreifen, Abstellanlagen und Querunghilfen. Für die Umsetzung des Programms plane die Landesregierung in diesem Jahr mit rund 20 Millionen Euro.
Aber: Ob eine Kommune fahrradfreundlich sein will, das entscheidet sie letztlich selbst. Aus diesem Grund hat ADFC-Chefin Zühlke eine klare Antwort auf die Frage, was Bürger tun können, um ihre Stadt fahrradfreundlicher zu machen: „Bei unserer Umfrage zum Fahrradklima mitmachen.“Die Ergebnisse würden von den Bürgermeistern beachtet, sagt die Fahrrad-Lobbyistin. Oftmals würden dann gerade die Kommunen aktiv, die schlecht abgeschnitten haben.