Wenn Kinder Kind sein dürfen
Patenschaften für Nachwuchs psychisch belasteter Eltern – Vierter und letzter Teil
- Für einige wenige Stunden in der Woche einfach nur Kind sein dürfen. Für diese Zeit die gewohnte Familienstruktur verlassen, und mit einem Paten Freizeitangebote wahrnehmen, etwas Tolles unternehmen, Sorgen, Nöte und alltägliche Aufgaben für diese Zeit hinter sich zu lassen, das ermöglicht das Hilfsangebot PIT - Patenschaften für Kinder psychisch belasteter Eltern, des Psychosozialen Förderkreises Tuttlingen.
Das Projekt PIT wurde 2008 als Pilotprojekt in Kooperation mit dem Kommunalverband Jugend und Soziales KVJS des Landes Baden-Württemberg, dem Landratsamt Tuttlingen und dem Psychosozialen Förderkreis ins Leben gerufen.
Es ist ein Angebot für Kinder, deren Eltern durch eine psychische Erkrankung daran gehindert sind, ihrem Kind die volle Aufmerksamkeit zu schenken. Nach drei Jahren Projektphase fiel die Förderung durch das Land (KVJS) weg.
Seit dieser Zeit wird dieses Unterstützungsangebot durch das Landratsamt und den Psychosozialen Förderkreis getragen.
„Die Eltern, meist sind es nur Elternteile, sind durchaus in der Lage ihre Kinder zu erziehen“, stellt Bettina Sailer, Sozialpädagogin und Mitarbeiterin von PIT fest. „Es ist nur dann schwierig, wenn sie sich gerade in einer instabilen Phase befinden.“Dann ist der betroffene Elternteil so sehr von dieser Krankheit und deren Auswirkungen absorbiert, dass er sich nur noch begrenzt oder gar nicht mehr um den Familienalltag kümmern kann.
„Somit kann das soziale Netz innerhalb und außerhalb der Familie im schlimmsten Fall zusammenbrechen – in zahlreichen Fällen übernehmen dann die Kinder die Verantwortung und versorgen ihre erkrankten Eltern und Geschwister. Die eigenen kindlichen Bedürfnisse werden
zurückgestellt. Angst und Verunsicherung prägen das kindliche Erleben und ohne erwachsene Begleitund Bezugsperson an der Seite, sind sie gravierenden Veränderungen ausgesetzt. Viele ziehen sich zurück und werden so auch aus dem sozialen Kontext ausgegrenzt“, erklärt Bettina Sailer.
Gespräche in häuslicher Umgebung
Hier kommen dann die Paten ins Spiel: Meist wird das PIT-Büro vom Kinderschutzbund, Schulen, Ärzten, psychologischen Einrichtungen, aber auch vom Jugendamt kontaktiert. Sind die Eltern einsichtig, dass die Diagnose vorhanden ist und sind sie bereit, die Unterstützung anzunehmen, „manche weigern sich auch, weil sie Angst haben, dass man ihnen die Kinder wegnimmt“, bemerkt Bettina Sailer, „dann nehmen wir zu ihnen Kontakt auf. Wir stellen uns vor und entscheiden nach dem Gespräch in der häuslichen Umgebung der Familie, welcher Pate für sie in Frage käme.“
Gemeinsam mit allen Betroffenen wird dann der Wohnort des Paten sowie der des Kindes besucht. Kommt es zu einer Übereinstimmung, entscheidet der Pate gemeinsam mit dem Kind und dessen Eltern, an welchem Tag, und für wie lange sie sich für gemeinsame Aktivitäten, meist im Freizeitbereich, außerhalb der Familie treffen.
„Momentan haben wir noch vier aktive Paten, zwei weitere haben angefragt“, berichtet Bettina Sailer. „Wir könnten aber noch mehr gebrauchen. Im Laufe der Zeit hatten wir 30 Paten mit über 30 Vermittlungen, manchmal auch Doppelvermittlungen.“Pate werden kann jeder, der Freude am Umgang mit Kindern und Zeit hat. „Die Kinder sind meist jüngeren Alters, Kindergartenkinder, Grundschüler, oder am Anfang der weiterführenden Schulen. Dabei sollte jeder einzelne offen mit der Si- tuation umgehen, nicht so viel nachdenken, einfach handeln und akzeptieren, dass ein Kind einfach ein Kind ist“, so Bettina Sailer. „In der Regel möchten die Kinder während ihrer Zeit bei den Paten gar nicht mal über die Situation zu Hause sprechen. Prinzipiell sollte es aber schon so sein, dass die Kinder über das Krankheitsbild des erkrankten Elternteils aufgeklärt werden – im besten Fall von den Angehörigen selbst oder von professioneller Seite.
Keine erzieherische Aufgabe
„Paten haben auch nicht die Aufgabe, erzieherisch tätig zu werden“, betont Bettina Sailer. „Die Paten können mit ihrem Engagement dafür sorgen, dass das Kind zum Beispiel wieder Vertrauen und soziale Kontakte zu anderen Menschen aufbauen kann. Dass für die gemeinsame Zeit eine gewisse Leichtigkeit und Freude in ihr Leben einkehrt.“
Wer Pate werden will wird geschult. Es gibt drei Schulungsabende zu den Themen Kinder (kindliche Verhaltensweisen verstehen, um angemessen darauf reagieren zu können), psychische Erkrankungen und einen inhaltlichen Überblick zu dem Angebot PIT, die von den Sozialpädagoginnen Bettina Sailer und Maria Walter, unterstützt von Dr. Frieder Böhme, abgehalten werden.
„Außerdem treffen wir uns zwei Mal im Jahr zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch. Sollte es darüber hinaus Fragen oder Probleme geben, können wir auch jederzeit kontaktiert werden“, erklärt Bettina Sailer.
„Nicht so viel nachdenken, einfach handeln und akzeptieren, dass ein Kind einfach ein Kind ist“
rät Bettina Sailer den Paten