Hilfe für überforderte Briefträger
ZF stellt autonom fahrendes Lieferfahrzeug vor und investiert zwölf Milliarden Euro
- Wolf-Henning Scheider hat an an Weihnachten gedacht. Und an Geschenke, Berge von Geschenken. „In wenigen Wochen werden mehr als vier Milliarden Pakete zu ihren Empfängern unterwegs sein“, sagte der ZF-Vorstandschef bei der Internationalen Automobilausstellung für Nutzfahrzeuge in Hannover am Mittwoch. Die Menschen bestellten nicht nur mehr, sondern wollten ihre Geschenke auch immer schneller und flexibler zu Hause haben. Und das sei eine Chance, die der Automobilzulieferer aus Friedrichshafen mit seiner Logistik-Technik nutzen wolle. Zumal „es ein Zurück in die Zeit vor dem Online-Handel nicht geben wird.“
Wie ernst Scheider es damit meint, spiegelt sich in einer Zahl: Zwölf Milliarden Euro will ZF in den nächsten fünf Jahren allein für die Themen EMobilität und autonomes Fahren ausgeben. Zum Vergleich: 2017 steckte ZF in Forschung und Entwicklung die Rekordsumme von 2,2 Milliarden Euro – aber verteilt über alle Themen und Geschäftsbereiche. „Wir investieren, damit wir dem Markt rasch innovative Lösungen mit hohem Praxisnutzen anbieten können“, sagte Scheider.
Und mit Blick auf die zu erwartenden Geschenkeberge stellte der ZFChef in Hannover ein Fahrzeug vor, das vor allem für Briefträger und Zusteller von großem Nutzen sein könnte und dem Unternehmen vom Bodensee in den nächsten Jahren Umsatz bringen soll: ein elektrisch angetriebenes Lieferfahrzeug mit automatisierten Fahrfunktionen, das eigenständig durch die Innenstadt manövriert, in zweiter Reihe geparkte Fahrzeuge umfährt und von Paketboten via Tablet ferngesteuert werden kann. „Wir revolutionieren die letzte Meile, damit Pakete sauber, sicher und pünktlich ausgeliefert werden können“, erläuterte Scheider. „Das Auto fährt autonom, der Zusteller kann vom Beifahrersitz aus die nächsten Zustellungen planen, was für die Unternehmen enorme Effizienzvorteile bringt.“ZF habe mit einem großen Logistikunternehmen eine Vereinbarung geschlossen, das System in zwei Jahren zur Serienreife zu entwickeln. Ausgestattet ist das Fahrzeug mit dem Bordcomputer ZF Pro AI, den das Unternehmen gemeinsam mit dem Chiphersteller Nvidia auf dem Markt gebracht hat. Der Vorteil: Das System sei so angelegt, dass das Logistikunternehmen all seine Computersysteme und Datenströme an das ZF-Modul anschließen könne. Für Bernhard Mattes, Präsident des deutschen Automobilverbands, ist das ZF-Konzept ein „Beispiel, wie die Mobilität der Zukunft organisiert werden“müsse. „Natürlich sind bis zur endgültigen Marktreife noch einige Voraussetzungen zu erfüllen“, sagte Mattes der „Schwäbischen Zeitung“und verwies auf ein lückenloses Netz von Ladesäulen, ein leistungsfähiges 5G-Mobilfunknetz und ein erweitertes Regelwerk für autonome Fahrzeuge. „Aber diese Dinge werden wir gemeinsam mit der Politik lösen, der Weg ist genau der richtige“, erklärte Mattes.
Früher als im öffentlichen Straßenverkehr wird sich das autonome Fahren auf abgegrenzten Arealen wie Betriebshöfen, Häfen und Werksgeländen durchsetzen. Fahrerlos manövrierende Fahrzeuge sollen dort Effizienz, Tempo und Umweltfreundlichkeit steigern, so die Vision von ZF. „Das Geschehen auf solchen Arealen hat enormes Potenzial für automatisiertes Fahren“, erklärte der ZF-Chef. „Der Verkehr ist einfach weniger komplex und leichter zu organisieren.“Mit ZF-Technik ausgestattete Trucks können nach ZF-Angaben das Rangieren von Anhängern oder das Umstellen von Container völlig autonom ausführen.
Scheider sieht ZF auf Kurs
Vor dem Hintergrund solcher Aussichten sieht der ZF-Chef sein Unternehmen auf Kurs. „Wir werden nach heutigem Ermessen unsere Ziele für das laufende Jahr erreichen“, sagte Scheider. „Das gilt für unser Ergebnis, die Steigerung der Investitionen und die Reduzierung unserer Verbindlichkeiten.“ZF strebt mit seinen weltweit fast 150 000 Mitarbeitern für 2018 einen Umsatz von 36,5 Milliarden Euro an (Vorjahr 36,4) bei einer operativen Marge von sechs Prozent (Vorjahr 6,4 Prozent). Zwar spüre auch ZF die Rückgänge bei den Autoverkäufen, die in Europa vor allem auf die neuen Standards für die Abgasmessung zurückzuführen seien, aber: „Durch unsere globale Aufstellung sehen wir keinen Grund, von unseren Prognosen abzuweichen“, sagte Scheider. „Wir erkennen keine generelle Eintrübung der Konjunktur.“Was das Problem der Geschenkeberge zu Weihnachten, die überforderte Briefträger in wenigen Wochen ausliefern müssen, nicht verkleinern dürfte.