EU-Kommission verklagt erneut Polen
Streit um Zwangspensionierung von Richtern kommt vor Europäischen Gerichtshof
(dpa) - Wegen der Zwangspensionierung zahlreicher oberster Richter verklagt die EU-Kommission Polen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und will die Praxis mit einstweiligen Anordnungen sofort stoppen lassen. Das zur Zwangspensionierung eingeführte Gesetz zur Herabsetzung des Pensionsalters verstoße gegen den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit und damit auch gegen EU-Recht, erklärte die Kommission am Montag in Brüssel. Es untergrabe insbesondere das Prinzip der Unabsetzbarkeit von Richtern.
Über den Antrag auf einstweilige Anordnungen könnte nach Angaben eines EuGH-Sprechers innerhalb weniger Tage nach seinem Eingang entschieden werden. Sollte ihm stattgegeben werden, müsste Polen den Prozess der Zwangspensionierungen stoppen und den bereits betroffenen Richtern mindestens bis zum abschließenden EuGH-Urteil eine Fortsetzung ihrer Arbeit ermöglichen. Auch Nachbesetzungen dürften nicht mehr erfolgen.
Für den Fall einer Weigerung könnte Polen eine empfindliche Strafe zahlen müssen. Im einem früheren Streitfall wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 100 000 Euro pro Tag angedroht. Es gehe nun darum, einen „schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden“für die richterliche Unabhängigkeit in Polen abzuwenden, erklärte die Kommission zu dem neuen Verfahren.
Mit dem neuen polnischen Gesetz zum Obersten Gericht wird das Pensionsalter für Richter am Obersten Gericht von 70 auf 65 Jahre herabgesetzt. Dies nutzte die politische Führung seit Anfang Juli dazu, mehr als 20 Richter in den Ruhestand zu schicken. Darunter ist auch die Erste Präsidentin des Obersten Gerichts, Malgorzata Gersdorf. Anträge auf eine mögliche Verlängerung der normalen Amtszeit sind zwar möglich, sie müssen allerdings vom Staatspräsidenten bewilligt werden. Die Kriterien seien aber unklar, kritisiert die EU-Kommission.
Auch polnische Gerichte klagen
Wegen eines Gesetzes zu den ordentlichen Gerichten hatte die Kommission schon im März Klage gegen Polen eingereicht. Auch dieses sieht Regeln vor, die der Regierung einen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz ermöglichen. Auch polnische Gerichte selbst wandten sich an den EuGH.
„Die heutige Entscheidung der EU-Kommission kommt nicht überraschend“, sagte die polnische Regierungssprecherin Joanna Kopcinska. Zwischen Warschau und Brüssel gebe es seit Monaten grundlegende Meinungsunterschiede über die Vereinbarkeit des Gesetzes mit EURecht. Polen habe seinen Standpunkt ausführlich dargelegt und sei bereit, seine Rechte vor dem EuGH zu verteidigen. Kopcinska betonte: „Nur ein rechtskräftiges Urteil des Gerichts kann ein Mitgliedsland zu Änderungen der Gesetzgebung verpflichten.“Richter des Obersten Gerichtshofs begrüßten unterdessen das Vorgehen der EU-Kommission.
Wegen der Sorge um die Rechtsstaatlichkeit hat die Kommission gegen das Land auch ein politisches Strafverfahren nach Artikel 7 des EUVertrags eingeleitet. Dieses könnte im letzten Schritt mit einem Entzug des Stimmrechts im EU-Ministerrat enden. Dafür müssten 22 der 28 EUStaaten in Polen die „eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“von EU-Werten sehen.