Zu viele Mitläufer
Stuttgart ist beim 0:4 gegen Dortmund chancenlos – zum Leidwesen von Markus Weinzierl
- Es schien so, als mache sich der Fußballgott am Samstagnachmittag ein wenig lustig über diesen VfB Stuttgart, der so gerne und leidenschaftlich seine Trainer wechselt. Nach 132 Sekunden stand es 0:1, nach 25 Minuten 0:3 gegen den Tabellenführer Borussia Dortmund, selten dürfte ein VfB-Coach so schlecht gestartet sein wie Markus Weinzierl. Und doch: Am Ende, nach diesem 0:4 und nach dem Spieltag, hatten sich die Stuttgarter doch tatsächlich um einen Tabellenplatz auf Rang 17 verbessert.
Hat der Trainertausch also wieder gefruchtet, fragen sich Spötter? Hörte man Michael Reschke reden, wollte man es fast glauben. Viel besser gespielt als beim 0:3 zu Saisonbeginn gegen die Bayern habe der VfB, sagte der Manager, auch viel mehr Chancen herausgespielt als bisher in dieser Saison, „wir müssen das Positive herausziehen aus dieser Partie und darauf aufbauen“, forderte er, doch für die anderen war das gar nicht so einfach.
Für Markus Weinzierl etwa. Wie denn so sein Comeback auf der Bundesliga-Bühne gelaufen sei, wurde er gefragt. „Anfangs schön, nach drei Minuten wurde es immer unschöner“, antwortete der 43-Jährige lakonisch – und kam dann zur Sache: „Nach drei Minuten war der ganze Plan weg. So ein Gegentor und solche Fehler dürfen uns einfach nicht passieren, so machst du dir alles kaputt. So wie wir in der Anfangsphase gespielt haben, können wir nicht agieren. Das erste Gegentor war unnötig, das zweite war unnötig und das dritte ein Geschenk. So hast du keine Chance.“
Stürmer Mario Gomez, der in der 8. Minute die Chance zum 1:1 vergab, wurde noch deutlicher: „Nach vorne hatten wir mehr Schwung, aber nach hinten haben wir in der ersten Halbzeit desaströs gespielt. Wir haben nur begleitet, keine Zweikämpfe gemacht, keine Zweikämpfe angenommen, sind nur mitgelaufen.“
Gegen eine Mannschaft, die sich derart in Hochform, Tiki-Taka-Laune und einem unausgelebtem Spieltrieb befindet wie die Dortmunder, muss mehr stimmen, müssen alle mitmachen – befinden sich da zwei Spieler im Tiefschlaf wie Gonzalo Castro und Benjamin Pavard, wird es eng für jede Mannschaft. Castro, 31, erinnerte vor dem 0:2 gegen Marco Reus eher an eine liebliche Assistentin eines Geschäftsführers denn an einen Bewacher. Castro ließ den überragenden Dortmunder gewähren, bot ihm fünf Meter Raum, den Reus dann per Doppelpass mit Piszczek trefflich nutzte. Weltmeister Pavard widerum patzte als Teil einer Fehlerkette vor dem 0:1, als er einen Reus-Schuss mehr als unglücklich abprallen ließ, und sein Aussetzer vor dem 0:3 erinnerte an Torhüter Zielers fatalen Einwurfpatzer kürzlich gegen Bremen. Wer einen Freistoß auf Höhe der Mittellinie unbedrängt zu zwei Dortmundern spielt, scheint nicht sehr geistesgegenwärtig zu sein. „Wenn der beste Mann so einen Fehler macht, ist das symbolisch für den Gesamtzustand der Mannschaft“, raisonierte Weinzierl.
Dass die zweite Hälfte besser war („Wir wollten uns mit Würde verabschieden“, sagte Gomez) war am Ende nebensächlich. Immerhin sah Weinzierl, dass auch ein 3-5-2-System mit Holger Badstuber eine Alternative sein kann. Der BVB zumindest hatte kurz nach der Pause bei drei hochkarätigen VfB-Chancen einige Adaptionsprobleme. Kapitän Christian Gentner, der die größte vergab (48.), fand allerdings, Dortmund habe auch einen Gang zurückgeschalten.
Zähes Warten auf Didavi
Unklar ist, welche Lehren Weinzierl aus der Niederlage zieht. Das extrem hohe, zuweilen naive Anlaufen des Gegners jedenfalls war nicht von Erfolg gekrönt. Gentner findet prinzipiell, dass „nicht die Systematik“, also die Taktik, entscheidend sei, es gehe darum, „wie wir es ausführen“. Mit welcher Aggressivität und Einstellung etwa. Dass kein Stuttgarter die Gelbe Karte sah, war symptomatisch.
Für Weinzierl kommt es derweil doppelt dick. Auch die nächsten Gegner Hoffenheim und Frankfurt befinden sich in Hochform – die Aufbruchstimmung, die ein Trainerwechsel erzeugen soll, könnte durch den Spielplan und das schlechte Timing des Wechsels schnell vorüber sein. Zumindest in jenen Spielen werden Tassos Donis und Spielmacher Daniel Didavi (Achillessehnenentzündung) noch fehlen. „Es bringt mir nichts, wenn Daniel einmal spielt, und dann fällt er monatelang aus“, sagte Weinzierl, dennoch sei der Faktor Didavi groß. Er sei ein Spieler, der den Unterschied machen könne. Und von denen hat der VfB ja nicht allzuviel.
Ein anderer ist Santiago Ascacibar. Vom kleinen Wadenbeißer aus Argentinien, fand Reschke, als er die durchaus existenten Problemzonen kommentieren musste, „können sich in punkto Einsatz und Kampfkraft alle eine Scheibe abschneiden“. Am Samstag siegte der BVB undramatisch souverän 4:0 beim VfB, und fast alle Welpen durften sich in den Statistiken eintragen. Dem 18-jährigen englischen Russell Terrier Jadon Sancho glückte das 0:1, Paco Alcacer, erstmals in der Startelf, erzielte mit einem herrlichen Heber das 0:3. Sein Ersatz Maximilian Philipp traf satt zum Endstand – auf Vorlage des nicht weniger begabten Christian Pulisic, und zwischendurch hatte Marco Reus, überragender Vater und Anführer der Jagdhundfamilie, das 2:0 beigesteuert. Es war sein fünfter Saisontreffer, das 1:0 und 3:0 hatte Reus vorbereitet, er ist nun zweitbester Scorer der Liga.
Auch Jacob Bruun Larsen war fast obligatorisch beteiligt am Torreigen. Der Däne leitete das 0:1 ein, so dass Lucien Favre danach merklich Mühe hatte, irgendetwas zu kritisieren. 27 Tore hat seine Elf nun nach acht Spielen geschossen, so viel wie nie, mehr als in den Meisterjahren unter Jürgen Klopp. „Wir haben junge Spieler auf den Flügeln. Sie sind stark im Eins-gegen-Eins, sie haben viel vor und man kann sie sehr gut kombinieren – mit Marco Reus oder Paco Alcacer“, lobte der Schweizer – und grübelte dann lieber über Systemfragen. Das 3-5-2 des Kollegen Markus Weinzierl hatte ihn und seine Elf überrascht, „vielleicht müssen und werden wir das in Zukunft auch spielen“, meinte Favre.
Gegen Atletico Madrid am Mittwoch in der Champions League aber sicher noch nicht. Gegen die knurrigen, unbarmherzigen spanischen Verteidiger wird man erstmals sehen, ob das immer noch ungeschlagene FavreTeam bereits internationales Format hat. Die jüngsten Defensivschwächen fielen diesmal kaum ins Gewicht: Achraf Hakimi gab einen passablen Linksverteidiger, Abwehrchef Manuel Akanji wurde kaum vermisst.
Alcacer, der Junge mit dem Wunderlauf, der nun in 126 Minuten wahnwitzige sieben Tore schoss, wurde zur Pause übrigens ausgewechselt. Vorsorglich. Gegen seine Landsleute wird er spielen können – und dem BVB wohl noch viel Freude bereiten. Der FC Barcelona bestätigte, der BVB werde die Kaufoption für Alcacer ziehen. Bis zu 28 Millionen wird der Stürmer kosten und bis 2023 unterschreiben. Viel Zeit, um noch das eine oder andere Trefferchen folgen zu lassen