Erdogan will aus Khashoggis Schicksal Kapital schlagen
Der türkische Präsident kündigt eine detaillierte Erklärung zum Tod des Dissidenten an – Beziehungen zu Riad seit Langem angespannt
- Noch vor zwei Monaten herrschte eisige Funkstille zwischen der Türkei und den USA – doch nun ist Recep Tayyip Erdogan wieder ein gefragter Gesprächspartner für Donald Trump. Die beiden Präsidenten sprachen jetzt am Telefon über den Fall des ermordeten saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi, und auch die Außenminister beider Länder sind im engen Kontakt. Geschickt nutzt die Türkei den Skandal um den Tod des Journalisten, um ihr schwieriges Verhältnis zum Westen zu verbessern und in der regionalen Konkurrenz mit Saudi-Arabien zu punkten. Am Dienstag will Erdogan Details über Khashoggis Schicksal bekanntgeben – ein spannender Moment, in dem nicht nur für die Ermittlungen selbst, sondern auch für die Türkei viel auf dem Spiel steht.
Die Beziehungen zwischen Ankara und Riad sind seit Langem angespannt. Im Konflikt zwischen SaudiArabien und Katar stellte sich Erdogan im vergangenen Jahr auf die Seite der Kataris und schickte als Warnung an Riad sogar Soldaten nach Doha. Zusammen mit Katar unterstützt Erdogans Türkei die Muslim-Bruderschaft, die von Saudi-Arabien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten als Terrorgruppe verfolgt wird. In Syrien arbeitet Erdogan zudem mit Iran zusammen – Saudi-Arabien dagegen will ein regionales Bündnis gegen Teheran schmieden. Auch präsentiert sich Erdogan zum Ärger der saudischen Regierung immer wieder als Anführer der islamischen Welt. Der Aufstieg des saudischen Thronfolgers Mohammed bin Salman hat die Rivalität verschärft. Vor einigen Monaten warf der Kronprinz der Türkei vor, sie bilde mit Iran und radikalen Islamisten ein „Dreieck des Bösen“. Nun will die Erdogan-Regierung den Skandal um Khashoggi nutzen, um das Reform-Image des saudischen Kronprinzen zu unterminieren, wie der Istanbuler Politologe Serhat Güvenc dem Sender Al-Jazeera sagte.
Anders als die saudische Führung, die mit widersprüchlichen Aussagen ihre Glaubwürdigkeit im Westen untergrub, fuhr die Türkei in der Khashoggi-Affäre einen konsequenten Kurs. Während türkische Polizeikreise Ermittlungsergebnisse durchsickern ließen und so den Druck auf Riad erhöhte, hielt sich Erdogans Regierung mit Schuldzuweisungen zurück. Auch am Tag vor Erdogans angekündigter Rede war das so. Nachdem Saudi-Arabien den Tod Khashoggis als eine Art Unfall darstellte, schrieb der Kolumnist Abdulkadir Selvi in der „Hürriyet“, der für seine Nähe zu Erdogan bekannt ist, Khashoggi sei im saudischen Konsulat innerhalb weniger Minuten erwürgt worden.
Alle Brücken zu Riad abbrechen will die Türkei aber nicht. Durch die Vermeidung einer regierungsamtlichen Kampfansage an Thronfolger Mohammed erhält sich Erdogan die Möglichkeit, bald mehr Öl von den Saudis kaufen zu können, wenn Anfang November die neuen US-Sanktionen gegen Iran in Kraft treten.
Doch die Erdogan-Regierung will auch darauf achten, dass ihr Ruf als Beschützer der von Saudi-Arabien verfolgten Muslim-Bruderschaft keinen Schaden nimmt. In der Türkei leben viele arabische Dissidenten, die sich auf den Beistand Ankaras verlassen. Das Land bleibe für arabische Regimegegner ein sicherer Zufluchtsort, versichert Yasin Aktay, ein führender Politiker der Erdogan-Partei AKP und Freund Khashoggis.
Nour fürchtet um seine Sicherheit
Nicht nur Oppositionelle aus SaudiArabien setzen auf Ankara. In den vergangenen Jahren haben sich auch Vertreter der Hamas und der ägyptischen Opposition mit Erdogans Erlaubnis in der Türkei niederlassen können. Zu ihnen gehört der ägyptische Politiker Ayman Nour, ein Gegner des Kairoer Staatspräsidenten Abdel Fattah al-Sisi. Wie andere Schützlinge der Türkei füchtet Nour nun um seine Sicherheit: Khashoggis Schicksal sei ein „symbolischer Mordanschlag auf die gemäßigte Opposition“gegen alle despotischen Nahost-Regime gewesen, sagte Nour.