„Die Italiener sind frustriert vom Euro und von der EU“
Der Ökonom und frühere Chef des ifo-Instituts Hans-Werner Sinn über die Stabilität des Euro und die Gefahr, die vom Streit mit Rom ausgeht
- Die Stunde der Wahrheit rückt näher, sagt der Ökonom HansWerner Sinn, der viele Jahre das ifoInstitut für Wirtschaftsforschung in München leitete. Markus Sievers hat mit Sinn über den Finanzstreit zwischen Brüssel und Rom gesprochen.
Italien setzt im Haushaltsstreit mit der EU auf Konfrontation. Wie bedrohlich ist das für den Euro?
Das geplante Defizit von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist für sich genommen nicht gefährlich. Nur zeigt das Verhalten der italienischen Regierung, dass sie nicht bereit ist, sich den Regeln der EU zu unterwerfen. Das lässt befürchten, dass ein Kurs auf mehr Verschuldung insgesamt geplant ist mit der Folge, dass die Kapitalmärkte nervös reagieren. Die EU-Kommission hat in früheren Fällen, in denen Länder höhere Schulden aufnahmen als nach den Regeln erlaubt, mit viel Verständnis reagiert. Glauben Sie, dass Brüssel diesmal härter
vorgehen wird?
Dies steht zu erwarten. Die EU-Kommission hat – wie übrigens auch die Europäische Zentralbank – die früheren italienischen Regierungen von Monti bis Renzi mit Samthandschuhen angefasst. Aber die jetzigen politischen Kräfte in Rom sind in Brüssel und Frankfurt weniger genehm. Die fasst man härter an.
Die Sorgen um die Stabilität der Eurozone nehmen wieder zu. Droht die Währungsunion in die nächste Krise zu schlittern?
Die Krise ist schon länger da, und sie ist dabei, sich zu verschärfen. Es gibt erneut eine Kapitalflucht aus Italien in andere Gebiete der Eurozone und insbesondere in die Schweiz. Inwieweit die italienische Regierung, die EU-Kommission und auch die EZB zur Eskalation bereit sind, lässt sich schwer vorhersagen. Aber die italienische Regierung ist gewählt worden, weil große Teile der Bevölkerung mit der Wirtschaftslage extrem unzufrieden sind. In den Umfragen hat sie eine Zustimmung wie noch nie eine Koalition zuvor. Die Italiener sind frustriert vom Euro und von der EU. Die Mehrheit spricht sich laut Umfragen dafür aus, dass Italien aus der EU austritt.
Damit stellt sich die Frage, wie die EU sinnvollerweise reagiert. Könnte sie nicht die Menschen in Italien gegen Europa aufbringen, wenn sie zu hart auftritt?
Die Stunde der Wahrheit rückt näher. Die Politik der EU-Kommission und der EZB, in der Krise nur mit immer mehr Geld zu beschwichtigen, hat überhaupt nicht funktioniert. Italiens Industrieproduktion hängt immer noch 17 Prozent unter dem Vorkrisenniveau aus dem Herbst 2007. Ein großer Teil der italienischen Firmen ist in Konkurs gegangen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist riesig. Das Land kommt nicht von Fleck. Das Vertrauen der Menschen ist erschüttert. Sie glauben nicht mehr, dass ein „Weiter So“gut gehen kann. Und es geht auch nicht weiter so. Es muss ein Kurswechsel kommen.
Die italienischen Banken sitzen auf faulen Krediten in großem Umfang. Viele haben zudem Kredite an ihren Staat vergeben. Was wäre die Folge, wenn diese Forderungen etwa durch ein negatives Urteil der Ratingagenturen an Wert verlieren?
Die Banken müssten dann, soweit sie diese Staatspapiere im Handelsbuch halten, diese aktuellen Werte abschreiben. Und sie würden dann sehr viel Eigenkapital verlieren. Das könnte viele Banken in Schwierigkeiten bringen.