Von Freaks für Freaks
Gemischte Bilanz der Donaueschinger Musiktage: Zu viel Material, zu wenig Form
- Der Schlosspark in Donaueschingen ist am nebligen Samstagmorgen noch nahezu menschenleer. Eine Joggerin zieht ihre Runden. Zur Klanginstallation im Fischhaus geht es der Brigach entlang über laubbedeckte Wege. Je näher man dem Gebäude kommt, umso mehr vermischt sich das Vogelgezwitscher mit Pfeiflauten, die aus kleinen, an Bäumen montierten Apparaten stammen. „iiiuuiii uuiiiuu“heißt die Installation von Carlos Gutiérrez Quiroga und Tatjana López Churata, die ihren Ursprung in der bolivianischen indigenen Musik hat. Seit 25 Jahren gibt es bei den Donaueschinger Musiktagen solche Klanginstallationen.
Als klingende Gartenzwerge hat sie Wolfgang Rihm einst verspottet. Doch sie sollen das Festival zur Stadt hin öffnen und neues Publikum ansprechen. In diesem Jahr überzeugen die Werke. Beeindruckend, wie der Schweizer Zimoun im Museum ArtPlus eine Wand aus 78 Kartons mittels kleiner Kugeln, die an unterschiedlich langen Drähten befestigt sind, zu einem rhythmisch hochkomplexen Klangerzeuger macht. Und wer sich im Gewölbekeller der alten Hofbibliothek zur Installation „Surface of Spectral Scattering“des ägyptischen Künstlers Magdi Mostafa aufmacht, braucht erst einmal Mut, um sich unter wabernden Bässen bis zum stockdunklen Zentrum des Geschehens vorzuwagen. Kunst, die etwas mit dem Zuschauer/Zuhörer macht – sinnlich erfahrbar, formal überzeugend, fokussiert, mal mit, mal ohne gesellschaftliche Botschaft.
Hauptprogramm wenig prägnant
Dem Hauptprogramm des Festivals dagegen fehlt in diesem Jahr diese Prägnanz. Zuviel Material, zu wenig Form, zu viel politische Botschaft, zu wenig künstlerischer Inhalt. So beschäftigt sich Isabel Mundry gleich in zwei Werken mit dem Thema Migration. Beim Konzert des SWR Symphonieorchesters (Leitung: Pascal Rophé) und SWR Vokalensembles (Leitung: Florian Helgath) am Freitagabend im Mozartsaal der Donauhallen vertont sie in „Mouhanad“die Worte eines syrischen Flüchtlings mal summend, mal chorisch sprechend. In „Hey!“für Stimmen und Ensemble (Neue Vocalsolisten Stuttgart/Bas Wiegers) nimmt Mundry den Dialog zwischen dem achtzehnjährigen deutsch-iranischen Schüler, der am 22. Juli 2016 in München neun Personen mit Migrationshintergrund tötete, und einem ihn filmenden, türkischen Anwohner („Wer bist Du?“„Ich bin Deutscher“„Ein Wichser bist Du“…) ins Zentrum des musikalischen Materials. Künstlerisch leiden beide Werke unter dem Gewicht der Aktualität und der fehlenden musikalischen Differenzierung.
Auch dem zweiten großen Thema „Mensch und Maschine“fehlt die künstlerische Formung. Brigitta Muntendorfs „Ballett für Eleven“, für das das Ensemble Modern weiße Andy-Warhol-Perücken (und im Video auch Motorradhelme) trägt und ein paar Zuschauer spazieren führt, ist eine wilde, rätselhafte Collage von Videosequenzen, Wortfetzen und Klang-Eruptionen, die ein überfordertes Publikum hinterlässt. Vollends zur lauten Materialschlacht für Freaks von Freaks verkommen dann die beiden Kompositionen für das SWR Experimentalstudio von Markus Schmickler (Sky Dice/Mapping the Studio) und Florian Hecker (Synopsis As Texture), die nur mit Gehörschutz zu ertragen sind. Die Kunst ist es, die Maschinen zu beseelen, wie es Enno Poppe in „Rundfunk“für neun Synthesizer gelingt.
Auf der Abschlusspressekonferenz äußerte sich Festivalleiter Björn Gottstein zufrieden angesichts der „sehr wilden Stücke“und freute sich darüber, dass „die Neue Musik uns weiterhin wichtige Anregungen und Gegenentwürfe zu unserem beschädigten Alltag geben kann.“
22 Uraufführungen, die alle vom Südwestrundfunk in Auftrag gegeben wurden, fünf Klanginstallationen, rund 10 000 Besucher, Komponistinnen und Komponisten aus 18 verschiedenen Ländern – die Donaueschinger Musiktage zeigten sich auch 2018 als internationaler Hotspot der neuen Musik.
Frisch und gegenwärtig
Den Orchesterpreis des SWR Symphonieorchesters erhielt die Schwedin Malin Bang für ihre rund 20-minütige Komposition „Splinters of ebullient rebellion“(Splitter einer überschäumenden Rebellion), in der sie neben einem geräuschhaften Orchestersound auch Spieluhren und Schreibmaschinen einsetzt. Darin möchte sie den Einfluss des einzelnen auf das Kollektiv untersuchen und das Orchester als gesellschaftlichen Spiegel einsetzen. „Frisch, gegenwärtig und entwicklungsfähig“sei das Werk, wie es Orchestervorstand Frank-Michael Guthmann bei der Preisverleihung zusammenfasste. Damit ist es genau das Richtige für das SWR Symphonieorchester, das 2020 erstmals unter dem neuen Chefdirigenten Teodor Currentzis in Donaueschingen spielen wird.