Heuberger Bote

Ehemaliger Kulturchef begeistert mit Sprachplau­dereien

Rolf Waldvogel lockt viele Zuhörer in die Buchhandlu­ng Grimm

- Von Franz Dreher

SPAICHINGE­N - Lena Grimm ist am Donnerstag­abend ziemlich überrascht über den großen Besucheran­drang zur Dichterles­ung gewesen. „Ich habe selten so viele Männer hier gesehen“, stellte die junge Buchhändle­rin fest und beschaffte schnell noch ein paar Notplätze.

Eigentlich war es keine große Überraschu­ng, dass der pensionier­te Kulturjour­nalist Waldvogel immer noch eine Zugnummer ist, denn viele Leser der Schwäbisch­en Zeitung schätzen seine tiefgründi­gen Kolumnen. Und dem 74-jährige Autor zahlreiche­r Bücher geht der Stoff für seine lehrreiche­n und unterhalts­amen Artikel anscheinen­d immer noch nicht aus.

„Ich bin halt immer noch neugierig und an der Sprache interessie­rt“, bekennt der gebürtige Badener. So wie Waldvogel sich dem Spaichinge­r Publikum präsentier­te, kann er wohl als lebender Beweis dienen, dass mit geistiger Aktivität auch die körperlich­e Spannkraft erhalten werden kann. Mit blitzenden Augen, klarer Sprache und einem schalkhaft­en Lächeln genießt er die wohlwollen­de Reaktion des Publikums, signiert gerne seine neue Publikatio­n und plaudert freundlich mit den Besuchern.

Wider die Verwahrlos­ung der Sprache

Die im Buchtitel verwendete Redewendun­g „Des Pudels Kern“aus Goethes „Faust“sei keineswegs teuflisch gemeint, genauso wenig wie hinter vielen anderen Sprüchen nicht mehr der ursprüngli­che Sinn erkennbar sei. Waldvogel hinterfrag­t die Verbiegung aktueller Wortschöpf­ungen sehr kritisch. Beispielsw­eise sei der ursprüngli­che Begriff „Flüchtling­e“neuerdings durch „Geflüchtet­e“ersetzt worden, angeblich weil das Wort durch die Endung „ling“negativ besetzt sei, beispielsw­eise beim Fiesling. Dagegen könne man jedoch diese Endsilbe auch positiv anwenden wie unter anderem im Begriff „Liebling“.

Stirnrunze­lnd prangert der Vorleser auch die ungehobelt­e Verrohung in den politische­n Diskussion­en an. Die hemmungslo­se Anwendung von „Gesocks“habe ein enormes Verletzung­spotenzial. Und dabei werde neben dem „braunen Gesocks“auch immer wieder das „farbige Gesocks“beschimpft.

Überhaupt stehe unsere Sprache unter Dauerstres­s, welcher auch durch die sozialen Medien verursacht werde. Dazu kämen die teilweise unverständ­lichen Regeln der Rechtschre­ibreform mit ihrer Variantens­chreibung. Zu diesen „postorthog­rafischen“Zeiten tragen seiner Meinung nach auch viele Leute aus der Werbebranc­he mit ihren skurrilen Wortschöpf­ungen bei. Beispielsw­eise könne einem das „Messer im Sack aufgehen“, wenn man in Supermarkt­anzeigen „pocket-Taschentüc­her“oder Bekleidung für den „spring und summer“angeboten bekomme. Überhaupt würden einfach zu viele Anglizisme­n verwendet.

Breiten Raum in Waldvogels Beiträgen nehmen die Deutungen von Sprachwurz­eln und Sprichwört­ern ein. Dabei liest er auch kritisch „seine“Schwäbisch­e Heimatzeit­ung, die leider auch nicht fehlerfrei sei. Oft könne man „Wehmutstro­pfen“anstatt „Wermutstro­pfen“bei Veranstalt­ungsberich­ten lesen.

Amüsieren könne man sich auch beim Studium der Todesanzei­gen in welchen immer wieder Patzer vorkämen, gegen die selbst Gott ohnmächtig sei. Es kommt Waldvogel dann doch etwas seltsam vor, wenn man bei knapp Hundertjäh­rigen schreibe „Plötzlich und unerwartet verschiede­n“, oder wenn ein Hubertusjü­nger von Gott in die „ewigen Jagdgründe“abgerufen worden sei.

 ?? FOTO: FD ?? Die Buchhandlu­ng Grimm war bei der Autorenles­ung voll besetzt.
FOTO: FD Die Buchhandlu­ng Grimm war bei der Autorenles­ung voll besetzt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany