Ehemaliger Kulturchef begeistert mit Sprachplaudereien
Rolf Waldvogel lockt viele Zuhörer in die Buchhandlung Grimm
SPAICHINGEN - Lena Grimm ist am Donnerstagabend ziemlich überrascht über den großen Besucherandrang zur Dichterlesung gewesen. „Ich habe selten so viele Männer hier gesehen“, stellte die junge Buchhändlerin fest und beschaffte schnell noch ein paar Notplätze.
Eigentlich war es keine große Überraschung, dass der pensionierte Kulturjournalist Waldvogel immer noch eine Zugnummer ist, denn viele Leser der Schwäbischen Zeitung schätzen seine tiefgründigen Kolumnen. Und dem 74-jährige Autor zahlreicher Bücher geht der Stoff für seine lehrreichen und unterhaltsamen Artikel anscheinend immer noch nicht aus.
„Ich bin halt immer noch neugierig und an der Sprache interessiert“, bekennt der gebürtige Badener. So wie Waldvogel sich dem Spaichinger Publikum präsentierte, kann er wohl als lebender Beweis dienen, dass mit geistiger Aktivität auch die körperliche Spannkraft erhalten werden kann. Mit blitzenden Augen, klarer Sprache und einem schalkhaften Lächeln genießt er die wohlwollende Reaktion des Publikums, signiert gerne seine neue Publikation und plaudert freundlich mit den Besuchern.
Wider die Verwahrlosung der Sprache
Die im Buchtitel verwendete Redewendung „Des Pudels Kern“aus Goethes „Faust“sei keineswegs teuflisch gemeint, genauso wenig wie hinter vielen anderen Sprüchen nicht mehr der ursprüngliche Sinn erkennbar sei. Waldvogel hinterfragt die Verbiegung aktueller Wortschöpfungen sehr kritisch. Beispielsweise sei der ursprüngliche Begriff „Flüchtlinge“neuerdings durch „Geflüchtete“ersetzt worden, angeblich weil das Wort durch die Endung „ling“negativ besetzt sei, beispielsweise beim Fiesling. Dagegen könne man jedoch diese Endsilbe auch positiv anwenden wie unter anderem im Begriff „Liebling“.
Stirnrunzelnd prangert der Vorleser auch die ungehobelte Verrohung in den politischen Diskussionen an. Die hemmungslose Anwendung von „Gesocks“habe ein enormes Verletzungspotenzial. Und dabei werde neben dem „braunen Gesocks“auch immer wieder das „farbige Gesocks“beschimpft.
Überhaupt stehe unsere Sprache unter Dauerstress, welcher auch durch die sozialen Medien verursacht werde. Dazu kämen die teilweise unverständlichen Regeln der Rechtschreibreform mit ihrer Variantenschreibung. Zu diesen „postorthografischen“Zeiten tragen seiner Meinung nach auch viele Leute aus der Werbebranche mit ihren skurrilen Wortschöpfungen bei. Beispielsweise könne einem das „Messer im Sack aufgehen“, wenn man in Supermarktanzeigen „pocket-Taschentücher“oder Bekleidung für den „spring und summer“angeboten bekomme. Überhaupt würden einfach zu viele Anglizismen verwendet.
Breiten Raum in Waldvogels Beiträgen nehmen die Deutungen von Sprachwurzeln und Sprichwörtern ein. Dabei liest er auch kritisch „seine“Schwäbische Heimatzeitung, die leider auch nicht fehlerfrei sei. Oft könne man „Wehmutstropfen“anstatt „Wermutstropfen“bei Veranstaltungsberichten lesen.
Amüsieren könne man sich auch beim Studium der Todesanzeigen in welchen immer wieder Patzer vorkämen, gegen die selbst Gott ohnmächtig sei. Es kommt Waldvogel dann doch etwas seltsam vor, wenn man bei knapp Hundertjährigen schreibe „Plötzlich und unerwartet verschieden“, oder wenn ein Hubertusjünger von Gott in die „ewigen Jagdgründe“abgerufen worden sei.