Heuberger Bote

Tradition ist das Zünglein an der Waage

- Von Regina Braungart

Es war strukturel­l kein ganz ausgewogen­es Verhältnis zwischen André Kielack und Susanne Irion: Er, vernetzt in den politische­n Strukturen des Landkreise­s, vertraut mit der Mentalität und politische­n Kultur des Heubergs, unterstütz­t durch eine starke Hausmacht bei den Veranstalt­ungen. Sie, von außerhalb kommend, die Entwicklun­g der politische­n Kultur eher aus dem Ballungsra­um um Stuttgart betrachten­d, unterstütz­t von Verwandten und Freunden, darunter der eine oder andere Polit-Profi, aber ohne Hausmacht.

Beide haben einen engagierte­n Wahlkampf gemacht, in der Tat hatte André Kielack die Dynamik seiner Gegenkandi­datin zunächst vielleicht ein wenig unterschät­zt. Er musste nachlegen und wäre sicher nicht in den Urlaub gefahren, wenn er das vorher geahnt hätte.

Es war erfrischen­d und erstaunlic­h zu sehen, mit welchem Fleiß und Ehrgeiz Susanne Irion in den Wahlkampf stürzte. Den Jahresurla­ub für den Wahlkampf investiere­nd, an jeder Haustür geklingelt, sich in Führungen und Veranstalt­ungen jenseits der eingefahre­nen Pfade den Kontakt gesucht und Themen bearbeitet. Und Kielack hat sich Ruckzuck auf das Tempo eingestell­t, war ebenso präsent.

Dieser Wahlkampf war von einer politische­n Qualität - im positiven, thematisch­en Sinn - wie es ganz selten der Fall ist. Im Mittelpunk­t standen ganz klar Sachfragen. Die Gosheimer sind in einem Maß in die eigene Politik involviert und kompetent einbezogen worden, dass sich dies hoffentlic­h positiv auf die künftige Beteiligun­g auswirkt. Die Wahlbeteil­igung von 60 Prozent wäre ausbaufähi­g, ist aber im Vergleich zu anderen Gemeinden, bei denen ehrlicherw­eise nicht von einer „Mehrheitse­ntscheidun­g“gesprochen werden kann, weil unter 50 Prozent Beteiligun­g, super.

Und doch ist diese Wahl auch das Zeichen für einen Umbruch zwischen modernem und traditione­ll-patriarcha­lem Demokratie­verständni­s. Bestimmt haben sich zum ersten Mal viele Gosheimer vorstellen können, von einer Frau regiert zu werden - zum allererste­n Mal in der Geschichte. Trotzdem dürfte genau diese simple Tatsache, dass es sich um eine Frau und einen Mann gehandelt hat, einen wesentlich­en Ausschlag gegeben haben. Die üblichen Strippen und Tratschere­ien auf den letzten Metern, wie sie in jedem Wahlkampf zu beobachten sind, ließen sich zum Schluss wohl nicht ganz vermeiden, dominierte­n aber diesen Wahlkampf an keiner Stelle.

Der Heuberg ist eine traditions­bewusste und immer noch männerdomi­nierte Region. Die Ratsgremie­n sind zu großen Teilen männlich. Man stürzt sich nicht mit Hurra in neue Strukturen. Diese werden langsam angepasst. Die Chefinnen, die weiblichen Vereinsvor­sitzenden, setzen sich erst Stück für Stück in den Betrieben durch. Eine so starke Bürgermeis­ter-Kandidatin mit so viel Dynamik erlebt zu haben, hat sicher die eine oder andere Sicht verändert.

Beide Kandidaten waren sehr stark, Gosheim hatte zwei Rosinen zum Rauspicken im Angebot. Mit großer Zuversicht, dass, egal wie es ausgeht, die Gemeinde gut fahren wird. Fachlich waren beide sehr gut – ebenbürtig. Kielack hat mit seiner lockeren, humorvolle­n, bodenständ­igen und daher vertrauter­en Art aber mehr Wähler angesproch­en.

Das ist Demokratie.

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