Boehringer justiert Biopharma neu
Der Konzern setzt künftig auf Eigenentwicklungen – Stärkung des Standorts Biberach
- Das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim sagt dem einst mit großen Hoffnungen gestarteten Geschäftsbereich Biosimilars leise ade. Das ließ Deutschland-Chef Stefan Rinn am Dienstag am größten Forschungs- und Entwicklungsstandort des Konzerns in Biberach durchblicken. Rinn, der am Jahresende bei dem Familienunternehmen ausscheidet und die Geschäfte dann an Sabine Nikolaus übergibt, machte dafür unter anderem den erheblichen Aufwand bei der Entwicklung solcher Nachahmerpräparate sowie hohe Hürden bei der Zulassung verantwortlich. Biosimilars sind Kopien von biopharmazeutisch hergestellten Wirkstoffen – ähnlich wie das Generika für konventionelle, chemisch hergestellte Wirkstoffe sind. Während die Entwicklung eines Generikums oftmals mit einstelligen Millionen-Euro-Beträgen einhergeht, verschlingen Biosimilars nicht selten dreistellige Millionen-Euro-Beträge.
Vor dem Hintergrund wird Boehringer auch kein Biosimilar des in der vergangenen Woche aus dem Patentschutz gefallenen Medikaments Humira auf den europäischen Markt bringen, wie Rinn sagte. Humira, ein sogenannter monoklonaler Antikörper, den der US-Hersteller Abbvie entwickelt hat und der unter anderem bei rheumatischer Arthritis und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen verabreicht wird, ist mit einem Jahresumsatz von mehr als 16 Milliarden US-Dollar (13,9 Milliarden Euro) das umsatzstärkste Medikament weltweit. In den USA, wo Humira noch bis Ende 2022 Patentschutz genießt, hat Boehringer mit Cyltezo ein entsprechendes Nachahmerpräparat und will dies dort auch so schnell wie möglich auf den Markt bringen. Doch für Europa verneinte Rinn dies.
Wachsende Biopharmazie
Der sukzessive Rückzug aus dem Geschäft mit Biosimilars geht einher mit einer Stärkung der biopharmazeutischen Eigenentwicklung und der Auftragsproduktion – was positive Nachrichten für den Standort Biberach sind. Denn in der oberschwäbischen Stadt hat das Pharmaunternehmen seine biopharmazeutische Entwicklung und die Herstellung konzentriert. Rund 60 Prozent der Biopharmazeutika-Produktion passiert in Biberach. Zwar macht die Biopharmazie aktuell nur rund fünf Prozent des Boehringer-Umsatzes von 18,1 Milliarden Euro aus. Doch in den kommenden Jahren dürften sich die Gewichte deutlich verschieben, damit rechnet auf alle Fälle der scheidende Chef. „Rund 40 Prozent der Produkte, die wir in der Pipeline haben, sind Biopharmazeutika – und dabei spielt Biberach eine große Rolle“, erläutert Rinn.
Aktuell produziert Boehringer in Biberach drei eigene Biopharmazeutika: Actilyse und Metalyse, Präparate, die Blutgerinsel zerstören und unter anderem Schlaganfallpatienten gespritzt werden, sowie Praxbind, ein Gegenmittel zum Blutverdünner Pradaxa. Darüber hinaus werden rund 30 Biopharmazeutika im Auftrag anderer Pharmakonzerne wie etwa Pfizer hergestellt. Mit dem Schweizer Unternehmen Lonza und dem südkoreanischen Samsung-Konzern gehört Boehringer in diesem Geschäft zu den Top drei weltweit. Forcieren will Boehringer in den kommenden Jahren aber vor allem die Eigenentwicklung von Biopharmazeutika. Sichtbarstes Zeichen: Das im Juni begonnene Entwicklungszentrum für biopharmazeutische Produkte, dessen Fertigstellung für Ende 2020 geplant ist.